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Sieben Siegel 05 - Schattenengel

Sieben Siegel 05 - Schattenengel

Titel: Sieben Siegel 05 - Schattenengel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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wo sie sich befand. Und dennoch geriet sie nicht in Panik. Immer noch war da etwas in ihr, das Azachiel Vertrauen schenkte – und diesmal war es keine seiner Beeinflussungen, die ihr das Gefühl aufzwang, nein, diesmal war es allein sie selbst, die zu der Überzeugung kam. Azachiel hatte einen Fehler gemacht; hätte er nicht versucht, Lisa mit Hilfe seiner geistigen Kräfte auf seine Seite zu ziehen, hätte sie ihm das Haupt längst aus freien Stücken übergeben.
    »Du willst wissen, was geschieht, wenn du mir das Haupt übergibst?«, fragte Raguel und starrte in Kyras Rücken, als wollte er seine Blicke in Dolche verwandeln. »Nun, Kind … Mein Meister wird euch unermesslichen Reichtum gewähren. Die Erfüllung all eurer Wünsche. Ewiges Leben, vielleicht.«
    Azachiel lächelte. »Ich gebe euch nichts. Nur mein Wort, dass das Haupt nicht zu bösen Zwecken missbraucht werden wird.« Er verstummte einen Moment lang, dann setzte er ruhig hinzu: »Dies und meine Freundschaft.«
    Raguels Lachen hallte von den Felsen und leeren Häusern wider, als er die Worte seines Gegners vernahm. Für ihn waren sie nur Beweise von Schwäche, und er zweifelte nicht eine Sekunde daran, dass er als Sieger aus diesem Streit hervorgehen würde.
    Doch Raguel hatte verlernt, wie ein Mensch zu denken. Falls er diese Gabe je besessen hatte, so hatte er sie verloren, als er sich im Krieg der Engel auf Satanaels Seite schlug.
    Kyra überlegte nicht länger. Im Sitzen holte sie aus und schleuderte den Rucksack zu Azachiel hinüber. Und während ihr Blick der Flugbahn des Bündels folgte, verstand sie plötzlich das Dilemma der Engel – das Haupt musste freiwillig übergeben werden. Nur deshalb war es ihnen nicht gelungen, es aus dem Tempel von Lachis zu stehlen.
    Vielleicht war es das Erbe ihrer Mutter, das Kyra diese Gewissheit verlieh, vielleicht aber auch ihre eigene Entdeckung. Egal. Es zählte allein, dass sie Recht hatte.
    Azachiel ließ das Schwert los, fing den Rucksack auf und zerfetzte ihn mit einer einzigen raschen Handbewegung. Ein helles Licht loderte sekundenlang um seine Hand; einen Augenblick lang sah es aus, als hätte der Blitz in seinen ausgestreckten Arm eingeschlagen.

Ein lautes Stöhnen drang von Raguels Kriegern herüber. Einige verließen die Formation und wichen mehrere Schritte zurück. Ihr Befehlshaber bemerkte es, hatte aber nur Augen für das Haupt von Lachis in der Hand seines Feindes. Ein wilder Aufschrei entrang sich seiner Kehle, und für einen Moment schien die weiße Haarsträhne noch heller zu werden, in weißem Feuer zu erglühen wie Stahl in einem Hochofen.
    Kyra klammerte sich mit beiden Händen an die Planke. Tief unter ihr brachen sich die Wellen, weißer Schaum tobte um die Klippen. Der Sturm zerrte an ihren langen Locken, aber sie nahm es kaum wahr. Wie gebannt starrte sie auf Azachiel und das uralte Relikt in seinen Fingern.
    Das Haupt von Lachis sah immer noch aus wie ein ovaler Stein, kopfgroß und grau. Und trotzdem zog es die Blicke aller an wie ein Magnet. Ganz kurz schien es sogar zu pulsieren, ähnlich einem lebendigen Herz.
    Doch welche Macht das Haupt auch immer besitzen mochte, an diesem Tag kam sie nicht zum Einsatz.
    »Geht«, rief Azachiel seinen Feinden entgegen. Seine Stimme klang tiefer und hallender als zuvor. »Ich werde euch ziehen lassen. Doch zuvor leistet mir einen Schwur.«
    Raguel hatte die Regungen seines Gesichts kaum noch unter Kontrolle. Er sah aus, als würde er jeden Moment vor Zorn und Hass explodieren. »Was für einen Schwur?«, fragte er verbissen.
    »Ich bitte nicht um meinen eigenen Frieden«, erwiderte Azachiel, »denn ich weiß, ihr könnt eure Natur nicht verleugnen, selbst wenn euch ein Schwur bindet. Stattdessen bitte ich für diese Kinder.«
    »Und meinen Vater«, flüsterte Kyra.
    »Und für ihren Vater«, fügte Azachiel laut hinzu. »Ihr werdet ihnen kein Haar krümmen, nicht heute und auch an keinem anderen Tag.«
    »Das ist alles?«
    Azachiel nickte. »Schwört, und ich werde euch in Frieden ziehen lassen.«
    »Nicht in Frieden«, zischte Raguel bösartig. »Du weißt, dass wir uns wieder sehen werden, Verräter. Wir werden kämpfen. Und du wirst unterliegen, Azachiel. Ich werde deine Seele in Stücke reißen.«
    »Der Schwur!«, forderte Azachiel ungeduldig.
    Raguel zögerte noch, dann nickte er. »Ich schwöre. In meinem Namen und im Namen aller, die mir folgen.«
    »Sprich es aus!«
    »Ich schwöre, dass wir diesen Kindern und dem Mann kein Leid

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