Sieh mich an, Al Sony
Bier und gebratenem Seetang. Ich half ihm, sich hinzulegen, stellte ihm einen Eimer neben den Kopf, ging ins Bett und ließ ihn allein im Dunkeln stöhnen.
Am nächsten Morgen verbrachte er lange Zeit im Bad und jammerte dann so sehr über seinen zerknautschten Anzug und sein mitgenommenes Aussehen, daß ich ihn davon überzeugte, im Büro anzurufen und sich krank zu melden, wenn er nur so lange aufhören könnte, es zu sein, wie man brauchte, um eine Nummer zu wählen. Ich erbot mich sogar, für ihn anzurufen, aber der harte Blick und seine unergründliche Miene ließen mich sofort davon Abstand nehmen und mein Angebot zurückziehen. Das Gespräch, das er mit seiner Firma führte, klang forsch und sicher, obwohl er ziemlich wacklig auf den Beinen war.
»Wie geht’s Ihnen jetzt?« fragte ich, nachdem er den Vormittag über in meinem Bett geschlafen und sich dann geduscht hatte. Es schien mir in dem Augenblick eine einfache Frage zu sein, etwas Unprovokantes, um das unbeholfene Schweigen bei Tee und Toast zu brechen. Er antwortete nicht gleich; es war, als warte er, bis meine Worte durch die schwammige Schicht der Scham zu einem akzeptablen Level vorgedrungen wären, von dem er eine angemessene Antwort heraufbefördern könnte. Ich ließ ihm Zeit. Wer wußte, was für einen Höllenkater er auszuhalten hatte? Nun, offen gestanden, ich wußte es, aber gottlob nicht an diesem Morgen.
»Ihre Nachfrage ist überaus freundlich. Mir geht es gut, danke, und Ihnen?« sagte er mit der wunderlichen Höflichkeit eines Mannes, der seine Sprachkenntnisse womöglich aus einem Buch von Beatrix Potter gelernt hatte.
»Gar nicht so schlecht.«
Wieder folgte ausgedehntes Schweigen.
»Ist Ihnen schlecht?« fragte er schließlich.
»Nein, mir geht’s prima. Gar nicht so schlecht bedeutet, wenn man alles in allem betrachtet, ziemlich gut.«
»Nicht so schlecht bedeutet gut?«
»Nicht immer; manchmal bedeutet es auch schlecht, aber nicht so schlecht, wie es sein könnte. Und manchmal bedeutet es wirklich sehr, sehr gut.«
»Das ist höchst verwirrend. Wenn ich einen Kunden frage, wie geht das Geschäft, und er sagt, nicht schlecht, kürze ich seinen Kredit.«
»Oh. Wie lange sind Sie denn schon hier?«
»Sechs Monate.«
»Dann ist das sehr schlecht für Ihren Käufer.«
Auf den verdutzten Ausdruck des Erstaunens in seiner Miene folgte ein kaum merkliches Schürzen der Lippen und ein feindseliges Schweigen.
»Scherz. Das war ein Scherz«, sagte ich.
»Der berühmte englische Humor.«
»Genau.«
Er schaute sich in meiner anspruchslosen kleinen Küche mit der Billigmieten-Aussicht und dem Vorrat an leeren Weinflaschen neben dem Mülleimer um. Ich hatte das Gefühl, daß meine hausfraulichen Fähigkeiten in einem Tokioter Heim für mangelhaft befunden werden würden, aber es schien keinen Sinn zu haben, ihm zu sagen, daß ich damit auch in unserer Stadt keinen Blumentopf gewinnen würde. Der arme Shinichro, er muß sich gefragt haben, was zum Teufel er sich eigentlich dabei dachte, blauzumachen, um sich mit einer fremden Ausländerin die Zeit zu vertreiben, die in einer schmuddeligen Bude im fünften Stock eines Sozialwohnungsblocks in Bow hauste.
»Meiner Mutter gefällt es auch nicht«, sagte ich.
Shinichro senkte verlegen den Blick; ich wußte allerdings nicht, ob seine Verlegenheit ihm selbst oder mir galt. Er nahm einen kleinen Schluck Tee, bevor er sich nach hinten reckte und seine Jackettasche abtastete.
»Meine Karte«, sagte er.
Die Japaner lieben Visitenkarten. Ich betrachtete das Foto und seinen Titel: Geschäftsführer, Komponentendivision, NC Corporation. Ich lächelte und nickte beifällig. Wenn ich gearbeitet hätte, wäre er ein guter Kontakt gewesen, zumal jetzt, da der Weltmarkt für Chips anfing zu kochen. Aber ich arbeitete nicht — außer daran, es mir gutgehen zu lassen, und irgendwie wollte das nicht gelingen.
»Ich habe auch irgendwo eine. Entschuldigen Sie«, sagte ich.
Er schenkte mir eine angedeutete Verbeugung und ein höfliches kleines Lächeln, als ich vom Tisch aufstand und zu meinem Schreibtisch im Wohnzimmer ging, um darin herumzuwühlen. Ich fand eine verstaubte, alte Schachtel mit Visitenkarten von Technology Week mit meinem Namen und meiner ehemaligen Position und ging damit zurück zu Shinichro. Er war durchaus zufrieden, bis ich sagte, daß ich dort nicht mehr arbeitete, daß er mich aber notfalls unter dieser Nummer immer noch erreichen könne, und meine Privatnummer wolle ich
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