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034 - Der Weg nach Westen

034 - Der Weg nach Westen

Titel: 034 - Der Weg nach Westen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Zybell
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Er stand auf und wickelte sich aus dem Fell, das sie ihm zum Schlafen gegeben hatten. Es fiel auf den Stroh und Laubhaufen zu seinen Füßen. Prüfend ließ er seine linke Schulter kreisen kein Schmerz heute Morgen. Dann beugte und streckte er den linken Arm ebenfalls schmerzfrei. Schon einundzwanzig Tage ohne Beschwerden! Oder waren es zweiundzwanzig? Ein wenig nur ging der Mann in die Knie fast aus dem Stand ließ er sich auf die Hände fallen. Wieder hielt er einen Augenblick inne. Jetzt spürte er den Schmerz in Ellenbogen und Schulter. Er begann mit den Liegestützen. Auch das ein morgendliches Ritual seit so vielen Tagen.
    Der Schmerz verstärkte sich natürlich. Der Mann kümmerte sich nicht darum. Er stemmte sich hoch, ließ sich sinken, stemmte sich hoch.
    Sein langes fettiges Haar berührte den feuchten Boden. Er atmete prustend aus, sog die Luft ein, atmete aus, ignorierte den Schmerz.
    Einunddreißig Liegestützen schaffte er. Er sprang auf, schüttelte sich aus. »Einunddreißig, Mickey nicht schlecht was?« Als er damit angefangen hatte, war er über drei Liegestützen nicht hinausgekommen. »Ich meine, wenn man bedenkt, dass Schulter und Ellenbogen wahrscheinlich gebrochen waren? Hey, Mickey das ist doch nicht übel, sag selbst…«
    Das graue Licht in seinem Gewölbekerker breitete sich aus. Wie zäher schmutziger Brei trielte es aus dem Zenit des Gewölbes über die morschen Sparren des Runddachs, über Spinnennetze, blinde Fenster und Gemäuer schließlich.
    Die moosfreien Stellen des östlichen Rosettenfensters ließen die ersten Strah- lenbalken der Morgensonne in seinen Kerker. Selten, ganz selten hatte er solche Lichtbalken zu sehen bekommen. Meistens schickte selbst ein neuer Morgen nur dämmriges Licht in seinen Kerker.
    Aber heute Strahlenbalken. »Ein gutes Omen, Mickey, was meinst du?«
    Die Lichtstrahlen fielen auf die Wand über seinem Schlafplatz. Die drei Fenster hatten sie mit einem Holzlattenverschlag verbarrikadiert.
    Ziemlich unsinnig, wie er fand, denn die breiten Fenster waren von Metallsprossen durchzogen. Selbst wenn er einzelne Scheibchen eingeschlagen hätte nicht einmal den Fuß hätte er durch die Öffnungen stecken können. Vielleicht sollte der Verschlag aber auch nur den Blick durch die Fenster nach draußen verhindern.
    Er ging zu dem Lattenverschlag, bückte sich und griff hindurch. Seine Finger ertasteten einen Holzbalken am Boden und darauf schließlich seine Brille. Er hatte sich angewöhnt, sie dort abzulegen, an einem immer gleichen Ort, damit er nicht versehentlich auf das unersetzliche Stück trat. Oder seine Kerkermeister, wenn sie ihm Wasser und Essen oder frisches Laub und Stroh brachten.
    Staubpartikel tanzten im Lichtbalken.
    »Wenigstens keine Dunkelhaft, Mickey, was?« Der Mann setzte die Brille auf und ging zu seinem Schlafplatz. An der Wand darüber enthüllte der wachsende Lichtstrahl jetzt Zeichen über Zeichen. Striche zum Beispiel viele Striche in Fünferblocks zusammengefasst.
    »Einzelhaft, aber keine Dunkelhaft…« Der Mann betrachtete die Zeichen.
    Über dem ersten Fünferblock war mit römischen Ziffern ein Datum eingeritzt IX/II. Der Mann ging einfach davon aus, dass sein erster Tag in diesem Kerker der 9. Februar gewesen war. Weiter nichts als eine Theorie. Er hatte keine Ahnung, wie viele Tage er bewusstlos hier gelegen hatte. Aber irgendeinen Anhaltspunkt brauchte er schließlich. Einen Anhaltspunkt, um sich wenigstens ansatzweise in der sogenannten Wirklichkeit zu orientieren.
    Über der Lücke zwischen dem ersten und dem zweiten Fünferblock hatte er das Symbol eines Blitzes ins Gemäuer geritzt. Der fünfte Tag.
    Standen die meisten dieser Striche für Tage voller Schmerzen und Verzweiflung, der fünfte tat es in ganz besonderem Maße: An diesem Tag hatte der Mann sich seinen gebrochenen Unterarmknochen reponiert den linken Radius. Mit dem Schnürsenkel seines Stiefels hatte er das Handgelenk des verletzten Armes am Lattenverschlag vor einem der Fenster festgebunden. Und dann gezogen, geschrien und gezogen und den Knochen in die normale anatomische Position gedrückt. Bruchstelle auf Bruchstelle.
    Ihn fröstelte, wenn er an diesen Augenblick zurück dachte. So laut und so lang hatte er geschrien, dass sie herbei gerannt kamen. Sie hatten die Kerkertür aufgerissen, diese hässlichen verwachsenen Burschen, und ihn blöde angeglotzt.
    Einer ein knorriger Kerl mit einem Buckel hatte ihm ein ekelhaftes Gesöff gebracht, das nach Galle

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