Silberfieber
mit dem Auto befahren kann, aber eben nur bei Ebbe. Davon hat der Ladenbesitzer gesprochen. Wie er sagte, wir fahren um fünf Uhr los, dann sind wir noch vor dem ersten Tageslicht auf der Insel. Es kann zwar trotzdem kompliziert werden, aber auch das hält sich in Grenzen. Wenn wir mit der Arbeit nicht rechtzeitig fertig werden, ist der Damm überflutet, und wir kommen nicht mehr zurück. Für den Fall haben wir vorgesorgt. Wir haben genügend Schlafsäcke, Decken und Vorräte dabei, sodass wir zur Not auch eine Nacht dort verbringen können. Länger wird es auf keinen Fall dauern. Es hat keinen Sinn, woanders zu suchen als genau an der auf der Karte angegebenen Stelle.«
Frank nahm diese Neuigkeiten von McCully zur Kenntnis wie ein Schlafwandler. Bevor er auf der Fahrt ins Motel endgültig einschlief, kam ihm noch die Frage in den Sinn, woher der Professor all diese Einzelheiten eigentlich so genau kannte.
Morgen würde sich alles klären.
45
»Hier ist heute schon jemand rübergefahren«, stellte Sergeant Bill Grimsby fest. Er zog seine Uniformhose an den Oberschenkeln nach oben und ging in die Knie, um die Reifenspuren im Schlamm zu begutachten. Wozu das gut sein sollte, blieb Christine Keller verborgen. Sie befanden sich an der Stelle, wo der Damm endete und Wavy Island ihren Landrover mit einem Gemisch aus Kieselbrocken und sandigem Matsch empfangen hatte. Die Reifenspuren waren mehr als deutlich zu erkennen. Sie mussten von einem Fahrzeug stammen, das mindestens so groß war wie ihr eigenes: ein Landrover Discovery, selbstverständlich mit Vierradantrieb und dem gleichen Abzeichen des Yarmouth County Department auf den Seitentüren, das sich auch auf Sergeant Grimsbys Brusttasche befand.
»Sieht aus wie die Spuren von einem 4 -Wheel-Drive, so ähnlich wie unserer«, sagte Grimsby und richtete sich wieder auf. Christine Keller überlegte, ob sie eine spitze Bemerkung über Indianer oder Spurenleser fallen lassen sollte, entschied sich aber anders. Sie wollte ihre Gastgeber nicht beleidigen.
»Wenn die Reifenabdrücke hier am Ende des Dammes noch so deutlich zu sehen sind, müssen sie von heute Morgen stammen, sonst wären sie von der Flut weggespült worden, richtig?«
Nur Grimsby sah sie ein bisschen erstaunt an. Captain Ross wusste dagegen, dass man nicht auf Nova Scotia geboren sein musste, um zu dieser logischen Schlussfolgerung zu gelangen.
»Richtig«, sagte er, »sie müssen sehr früh gekommen sein, sonst hätte Bob uns vorhin angehalten oder uns schon angerufen, bevor wir aufgebrochen sind.« Bob musste der gewesen sein, der im Tourist Information Centre auf der Festlandseite grüßend die Hand gehoben hatte, als sie im Schritttempo an ihm vorbeigefahren waren.
»Ist denn in der Touristeninformation nachts niemand?«, fragte Christine Keller.
»Nein, die eignet sich nicht zum Übernachten. Sie haben das Gebäude ja gesehen«, sagte Ross. Ein in Hufeisenform angelegter Flachbau, in der grauen Farbe der Uferfelsen angestrichen, um ihn mehr gewollt als gelungen in die Umgebung einzupassen. Darin gab es ein mit dem Notwendigsten ausgestattetes Café zum Aufwärmen. Und eine kleine, direkt neben dem Damm aufgebaute, holzverschalte Bude, die Wärterstation, von der aus Bob sie gegrüßt hatte. Ein Lagerraum, jede Menge Warn- und Verbotsschilder mit »Achtung Lebensgefahr und ein Parkplatz für höchstens zwei Reisebusse oder acht bis zehn Pkws. Das war das Treasure Hunting Information Centre von Wavy Island. Keine dreidimensionalen Multimedia-Shows und keine zusätzlichen audio-visuellen Events. Kein Zweifel, in der kleinen Schatzsuchergemeinde blieb noch viel zu tun, damit sie sich als Touristenmagnet auf der Landkarte der Attraktionen festsetzen konnte. Der Schatz war entweder noch nicht berühmt genug oder die Gegend zu ungastlich, um eine ausreichende Anzahl von Touristen für einen längeren Aufenthalt zu gewinnen. Wahrscheinlich traf Letzteres zu, dachte Christine Keller, als sie den hinter ihnen liegenden vier Kilometer langen Steindamm entlangblickte. Für die Überfahrt hatten sie fast eine halbe Stunde benötigt. Der Weg bestand aus Steinen in der Größe von Gehwegplatten, die auf wellenbrechergroßes Felsgestein zementiert waren und so den Abschluss einer provisorischen Fahrbahn bildeten. Die Überquerung des Dammes ließ sich tatsächlich nur mit Reifen in Traktorgröße bewältigen, damit die Karosserie des Wagens nicht aufsetzte. Mit einem normalen Pkw war der Weg gar nicht zu
Weitere Kostenlose Bücher