Sinuhe der Ägypter
dies zu lesen bekäme. Mögen andere sich mit Ammons heiligen Wassern von ihren Sünden reinwaschen, ich, Sinuhe, reinige mich, indem ich meine Taten niederschreibe. Mögen andere die Lügen ihrer Herzen auf der Waage des Osiris wägen lassen, ich, Sinuhe, wäge mein Herz mit einer Rohrfeder.
Doch bevor ich mein Buch zu schreiben beginne, soll mein Herz sein Weh klagen, denn so klagt mein von Trauer schwarz gewordenes Herz, das Herz des Verbannten:
Wer einmal das Wasser des Nils getrunken, der sehnt sich zurück zum Nil. Kein anderes Wasser auf Erden kann seinen Durst mehr löschen.
Wer einst in Theben geboren wurde, der sehnt sich nach Theben zurück, denn auf Erden gibt es keine zweite Stadt gleich Theben. Wer an der Gasse geboren wurde, der sehnt sich zurück zur Gasse. Aus dem Zedernholzpalast sehnt er sich zurück in die Lehmhütte. Von den Düften der Myrrhe und der edlen Salben sehnt er sich zurück zu dem Rauchgeruch der Mistfeuer und der in Öl gebratenen Fische.
Meinen goldenen Becher würde ich gegen den Lehmkrug eines Armen tauschen, wenn mein Fuß noch einmal die weiche Erde des Landes Kêmet betreten dürfte. Meine Leinengewänder würde ich gegen die sonnverbrannte Haut eines Sklaven vertauschen, wenn ich nochmals das Rauschen des Schilfrohrs im Frühlingswind hören dürfte.
Der Nil überfließt, wie Edelsteine steigen die Städte aus den grünen Fluten, die Schwalben kehren zurück, die Kraniche waten im Schlamm, aber ich weile in der Ferne. Warum bin ich keine Schwalbe, warum bin ich kein Kranich, daß ich mit kräftigen Schwingen an den Wächtern vorüber zurück zum Lande Kêmet fliegen könnte?
Mein Nest würde ich inmitten von Ammons bunten Säulen bauen, wo die Obelisken wie Gold und Feuer flammen im Duft des Weihrauchs und der feisten Opfertiere. Mein Nest würde ich bauen auf dem Dach einer Lehmhütte, an der Gasse der Armen. Die Ochsen ziehen ihre Schlitten, die Handwerker kleben Papyri aus Schilf, die Händler rufen ihre Waren aus, und der Käfer rollt seine Kotkugeln längs der steingepflasterten Straße.
Klar war das Wasser meiner Jugend, süß meine Torheit. Bitter und sauer ist der Wein des Alters, und der feinste Honigkuchen vermag das rauhe Brot meiner Armut nicht aufzuwägen. Kehret zurück, ihr Jahre, rollet zu mir, vergangene Zeiten! Segle, Ammon, von Westen nach Osten über den Himmel, auf daß ich meine Jugend noch einmal zurückerhalte! Kein Wort will ich ändern, noch die geringste Tat durch eine andere ersetzen. O schlanke Rohrfeder, o glatte Schilfpapyri, gebt mir meine unnützen Taten zurück, meine Jugend und meine Torheit.
Dieses schrieb Sinuhe, der Verbannte, ärmer als alle Armen im Lande Kêmet.
2
Senmut, den ich meinen Vater nannte, war Armenarzt in Theben. Kipa, die ich meine Mutter nannte, war sein Weib. Kinder besaßen sie nicht. Erst in ihren alten Tagen kam ich zu ihnen. In ihrer Einfalt nannten sie mich eine Gabe der Götter, ohne das Böse zu ahnen, das dieses Geschenk über sie bringen sollte. Meine Mutter Kipa nannte mich nach einem Märchen Sinuhe, denn sie liebte Märchen, und außerdem war ich nach ihrer Meinung auf der Flucht vor Gefahren zu ihr gekommen, gleich dem sagenhaften Sinuhe, der im Zelte des Pharao unfreiwillig ein schreckliches Geheimnis vernommen hatte, worauf er floh und viele Jahre unter mancherlei Abenteuern in fremden Ländern verbrachte.
Doch dies war nur ein einfältiges Geschwätz, nach ihrem kindlichen Gemüt, und sie hoffte, daß auch ich stets die Gefahren fliehen werde, um den Mißgeschicken zu entgehen. Aus diesem Grunde nannte sie mich Sinuhe. Doch die Priester Ammons behaupten, daß eines Menschen Namen ein Omen sei. Deshalb hat mich vielleicht mein Name in Gefahren, Abenteuer und in fremde Länder geführt. Vielleicht geschah es meines Namens wegen, daß ich teilnehmen mußte an schrecklichen Geheimnissen, an Geheimnissen von Königen und ihren Gemahlinnen, die mir den Tod hätten bringen können. Und endlich machte mich mein Name zu einem Vertriebenen und Verbannten.
Doch ebenso kindisch wie der Gedanke der bedauernswerten Kipa, als sie mir jenen Namen gab, wäre die Einbildung, daß mein Name das Schicksal eines Menschen beeinflussen könne. Gleich wäre es mir ergangen, wenn man mich Kepru, Kafran oder Moses genannt hätte: das ist mein Glaube. Dennoch kann man nicht leugnen, daß Sinuhe ein Verbannter wurde, während Heb, des Falken Sohn, mit einer roten und weißen Krone als Haremhab zum Herrscher über das
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