Sinuhe der Ägypter
Obere und das Untere Land gekrönt wurde. Daher möge ein jeder von der Vorbedeutung eines Namens halten, was ihm gefällt, denn ein jeder findet in seinem Glauben einen Trost für des Lebens Mißgeschicke und Tücken.
Ich ward geboren während der Regierungszeit des großen Königs Pharao Amenophis des Dritten. Im selben Jahr wurde er geboren, der von der Wahrheit leben wollte, und dessen Namen man nicht länger nennen darf, weil es ein verfluchter Name ist. Damals wußte natürlich noch niemand etwas davon. Deshalb erhob sich bei seiner Geburt großer Jubel im Palast, und der König brachte zahlreiche Opfer dar in dem großen Tempel Ammons, den er selbst hatte bauen lassen. Auch das Volk freute sich, ohne das Kommende zu ahnen. Die erhabene Königsgemahlin Teje hatte vergebens einen Sohn erwartet, obwohl sie schon seit zweiundzwanzig Jahren die große königliche Gemahlin war und ihr Name in den Tempeln und auf den Bildwerken neben dem des Königs geschrieben stand. Deshalb wurde er, dessen Name nicht genannt werden darf, unter großen Feierlichkeiten zum Erben der königlichen Macht ausgerufen, nachdem die Priester die Beschneidung vorgenommen hatten.
Aber er wurde erst im Frühling zur Saatzeit geboren, während ich, Sinuhe, bereits im vergangenen Herbst ankam, als die Überschwemmung am höchsten stand. Der Tag meiner Geburt ist mir aber unbekannt, denn ich kam in einem kleinen, mit Pech bestrichenen Binsenboot den Nil herunter, und meine Mutter fand mich im Uferschilf, unweit der Schwelle ihres eigenen Hauses: so hoch war das Wasser damals gestiegen. Die Schwalben waren soeben zurückgekehrt und zwitscherten um mein Haupt. Ich selbst jedoch war stumm, und sie hielt mich für tot. Sie trug mich in ihr Haus und wärmte mich am Kohlenfeuer und hauchte mir in den Mund, bis ich leise zu wimmern begann.
Mein Vater Senmut kehrte von seinen Krankenbesuchen mit zwei Enten und einem Scheffel Mehl nach Haus zurück. Er hörte mein Wimmern und glaubte, meine Mutter Kipa habe sich eine Katze zugelegt. Da begann er ihr Vorwürfe zu machen. Doch meine Mutter sagte: »Es ist kein Kätzchen, sondern ich habe einen Sohn bekommen! Freue dich, Senmut, uns ist ein Sohn geboren worden!«
Senmut wurde ungehalten und nannte sie töricht, aber Kipa zeigte mich ihm, und meine Hilflosigkeit rührte des Mannes Herz. So nahmen sie mich als ihr eigenes Kind auf und ließen auch die Nachbarn glauben, daß Kipa mich geboren habe. Dies war kindisch, und ich weiß nicht, ob viele ihnen Glauben schenkten. Kipa behielt das Binsenboot, in dem ich gekommen war, und hängte es an die Zimmerdecke über ihrem Bett. Mein Vater nahm sein bestes Kupfergefäß und brachte es in den Tempel und ließ mich als seinen eigenen, von Kipa geborenen Sohn in das Buch der Geburten eintragen. Die Beschneidung aber besorgte er selbst, denn er war Arzt und fürchtete die Messer der Priester, die eiternde Wunden hinterließen. Deshalb gestattete er den Priestern nicht, mich zu berühren. Vielleicht auch tat er es aus Sparsamkeit, denn als Armenarzt war er kein vermögender Mann.
Wohl entsinne ich mich nicht, dies alles selbst gesehen und erlebt zu haben, aber meine Mutter und mein Vater haben mir alles so manches Mal und mit den gleichen Worten erzählt, daß ich es glauben muß, und ich kenne keinen Grund, weshalb sie mich hätten belügen sollen. Doch während meiner ganzen Kindheit hielt ich sie für meine richtigen Eltern, und kein Kummer trübte meine Kindheit. Die Wahrheit erzählten sie mir erst, als meine Knabenlocke abgeschnitten wurde und ich ein Jüngling wurde. Sie taten es, weil sie die Götter ehrten und fürchteten und weil mein Vater nicht wollte, daß ich zeit meines Lebens in einer Lüge leben sollte.
Doch niemals sollte ich erfahren, wer ich war, woher ich stammte, noch wie meine Eltern hießen. Zwar glaube ich es zu wissen, aus Gründen, die ich später nennen will, wenn es auch nur meine eigene Vermutung ist.
Eines weiß ich mit Bestimmtheit: daß ich nicht der einzige war, der in einem Binsenboot den Strom herunterkam. Theben mit seinen Tempeln und Palästen war nämlich eine große Stadt, und die Lehmhütten der Armen lagen in unendlicher Zahl um die Tempel und Paläste. Zur Zeit der großen Pharaonen hatte Ägypten manche Länder unter seine Herrschaft gebracht, und mit der Größe und dem Reichtum folgten neue Sitten. Nach Theben kamen Fremdlinge, die sich als Kaufleute und Handwerker niederließen und ihren Göttern Tempel bauten.
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