Sinuhe der Ägypter
meinem Vater. Ich wollte doch ein Krieger werden und kein Träger oder Lehmwühler, kein Ackerbewässerer oder schmutziger Hirte.
»Vater«, sagte ich im Gehen, »das Leben der Soldaten ist bequem. Sie wohnen im Haus der Krieger und bekommen gutes Essen, abends trinken sie Wein in den Freudenhäusern, und die Frauen betrachten sie mit Wohlgefallen. Die Vornehmsten unter ihnen tragen eine goldene Kette um den Hals, obgleich sie nicht schreiben können. Von ihren Kriegszügen bringen sie Beute und Sklaven mit, die für sie arbeiten und für ihre Rechnung einen Beruf ausüben müssen. Warum sollte ich also nicht danach streben, ein Krieger zu werden?«
Mein Vater gab mir keine Antwort, sondern beschleunigte seine Schritte. In der Nähe des großen Schuttabladeplatzes, wo die Fliegen in Wolken um uns summten, bückte er sich, um in eine niedere Lehmhütte hineinzublicken.
»Inteb, mein Freund, bist du da?« fragte er, und heraus hinkte, auf einen Stock gestützt, ein alter, vom Ungeziefer zerstochener Mann, dessen rechter Arm unterhalb der Schulter amputiert worden war und dessen Lendentuch vom Schmutz erstarrt war. Sein Gesicht war vertrocknet und verschrumpft vom Alter, und er hatte keine Zähne mehr.
»Ist das – ist das Inteb selber?« fragte ich flüsternd meinen Vater und betrachtete erschreckt den Alten. Denn Inteb war ein Held, der in dem Feldzug des größten aller Pharaonen, Thutmosis des Dritten, gekämpft hatte. Die Sagen von ihm und seinen Heldentaten wie auch von den Belohnungen, die er vom Pharao erhalten hatte, wurden immer noch im Volksmund erzählt.
Der Alte hob auf Kriegerart die Hand zum Gruße, und mein Vater reichte ihm das Weingefäß. Sie setzten sich auf den Boden, denn der Alte besaß nicht einmal eine Bank vor seiner Hütte. Inteb führte mit zitternder Hand das Gefäß an seine Lippen, indem er behutsam vermied, auch nur einen einzigen Tropfen zu verschütten.
»Mein Sohn Sinuhe möchte Krieger werden«, sprach mein Vater lächelnd. »Ich habe ihn zu dir gebracht, Inteb, weil du der letzte überlebende Held aus den großen Kriegen bist, damit du ihm von dem stolzen Leben und den Heldentaten eines Kriegers berichtest.«
»Im Namen Seths und Baals und aller anderen Teufel«, sagte der Alte, lachte gellend auf und starrte mich mit kurzsichtigen Augen an, »ist der Junge verrückt?«
Sein zahnloser Mund, sein erloschener Blick, sein baumelnder Armstummel und seine runzlige schmutzige Brust waren so schrecklich anzuschauen, daß ich mich hinter meinen Vater verkroch und ihn am Ärmel faßte.
»Jüngling«, sagte Inteb und kicherte, »besäße ich einen Schluck Wein für jeden Fluch, den ich über mein Leben und über das erbärmliche Schicksal, das mich zum Krieger machte, ausgestoßen habe, so könnte ich den See mit Wein füllen, den der Pharao angeblich zum Vergnügen seiner Alten bauen ließ. Allerdings habe ich diesen See nie gesehen, denn mir fehlen die Kupferringe, um mich über den Strom rudern zu lassen; dennoch bezweifle ich nicht, daß er bis zum Rande voll würde, und auch dann noch genügend Wein übrigbliebe, um ein ganzes Heer damit betrunken zu machen.«
Wieder schlürfte er gierig Wein aus dem Gefäß.
»Aber«, sagte ich mit zitterndem Kinn, »der Beruf des Kriegers ist doch der ehrenvollste aller Berufe.«
»Ehre und Ruhm«, sprach Thutmosis’ Held Inteb, »sind nichts als Dreck, von dem nur die Fliegen leben können. Ich habe in den Tagen meines Lebens viele Lügen über Krieg und Heldentaten erzählt, damit die dummen Maulaffen mir Wein anbieten sollten; dein Vater aber ist ein rechtschaffener Mann, den ich nicht betrügen will. Deshalb sage ich dir, Junge, daß der Beruf des Kriegers der allerletzte und erbärmlichste von allen ist.«
Der Wein glättete die Runzeln in seinem Gesicht und entzündete ein Feuer in seinen Greisenaugen.
»Jüngling«, rief er aus, »fünf Reihen goldener Ketten haben diesen mageren Hals geziert. Eigenhändig hing der Pharao sie mir um. Wer kann die abgehauenen Hände zählen, die ich vor seinem Zelt häufte? Wer bestieg als erster die Mauer von Kadesch? Wer stürzte sich wie ein brüllender Elefant in die feindlichen Reihen? Ich war es, ich, Inteb, der Held! Doch wer dankt mir noch dafür? Mein Gold ist den Weg alles Irdischen gegangen, die Sklaven, die ich als Kriegsbeute erhielt, entwichen oder starben in ihrem Elend. Meine rechte Hand ist im Lande Mitani zurückgeblieben, und ich selbst wäre längst ein Bettler an der
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