Skin Game: Gefährliche Berührung (German Edition)
mit einem schmutzigen Lappen im Mund hilflos an einen Stuhl gefesselt gewesen zu sein, einfach nicht abschütteln zu können. Eigentlich sollte sie es längst überwunden haben, schließlich hatte sie keinen körperlichen Schaden davongetragen.
Um dieses Gefühl der Verletzlichkeit auszugleichen, zog sie sich ein schwarzes Kostüm mit einem blauen, spitzenbesetzten Top darunter an: Stärke kombiniert mit einem weichen Kern. Mia wusste genau, wie sie auf Männer wirkte, und sie inszenierte ihr Auftreten, angefangen bei ihrem korallenroten Mund bis hin zum passenden Lack auf den Nägeln. Bereits vor langer Zeit hatte sie gelernt, den Computer in ihrem Inneren hinter ihrem äußeren Erscheinungsbild zu verbergen. Damit, dass sie in nur zehn Sekunden zwölf vierstellige Zahlen im Kopf addieren konnte, hatte sie schließlich noch keinen Mann beeindruckt.
Mia sah sich ein letztes Mal in der Wohnung um, die sie für die nächsten drei Monate ihr Zuhause nennen würde. Im Gegensatz zu den meisten Jobs, die sie annahm, befand sich ihr Auftraggeber diesmal in einer Stadt, die zu klein war, als dass es Mitarbeiterwohnungen gegeben hätte. Doch sie hatte Glück gehabt und ein älteres Ehepaar gefunden, das wie die Zugvögel die kalten Monate des Jahres in Arizona verbrachte. Mia fand die Winter in Virginia nicht wirklich hart, doch die beiden Alten waren da anderer Ansicht.
Deshalb hatten sie ihr die Wohnung auch recht günstig überlassen – sie zahlte fast keine Miete. Das Ehepaar befand sogar, Mia erweise ihnen einen Gefallen. Zudem hätten sie eine Sorge weniger, wenn sie wüssten, dass jemand die Pflanzen gieße und sich um ihre dicke faule Katze kümmere. Mia mochte Haustiere zwar nicht besonders, aber für drei Monate könnte sie sicher für Futter und Wasser sorgen. Die rote Katze starrte sie mit funkelnden Augen aus ihrem Versteck unter dem Couchtisch heraus an.
»Ich bin gegen sechs wieder hier, Peaches.«
Der Katze schien das ausgesprochen egal zu sein.
Mia trat in die kühle Morgenluft hinaus und schaute zum Himmel. Es versprach ein wunderbarer Tag zu werden, klar, kühl und schön. Schade, dass sie ihn damit würde verbringen müssen, herauszufinden, wer der größte Betrüger war.
Sie verdrängte den Gedanken wieder und ging zu ihrem Mietwagen. Ihr eigenes Auto hatte sie längst verkauft, weil sie zu oft im Ausland arbeitete, als dass es nützlich gewesen wäre. Seitdem forderte sie bei Honorarverhandlungen für die Zeit ihrer Tätigkeit stets einen Mietwagen, und es war überraschend, wie wenige Unternehmen sich querstellten. Wenn die Firmenleitung jemanden brauchte, der schnell und leise finanzielle Verluste verhinderte, gab es größere Sorgen als das Entgelt für einen Ford Focus zu bezahlen.
Ihr derzeitiger Mietwagen war blau und in jeder Hinsicht unauffällig. Gut. Sie sollte es auf jeden Fall vermeiden, durch einen protzigen Schlitten aufzufallen. In ihrer Branche war es am besten, wenn niemand sie bemerkte.
Die Fahrt dauerte nicht lang, was Mia nicht wirklich überraschte, da sie vor Unterzeichnung des Mietvertrags ausprobiert hatte, wie viel Zeit das tägliche Pendeln in Anspruch nehmen würde. Bei normalem Verkehrsaufkommen und guten Straßenbedingungen konnte sie die Entfernung in vierzehn Minuten hinter sich bringen.
Micor Technologies befand sich außerhalb der Stadtgrenzen und war anstelle eines Gewerbegebiets von weiten Wäldern umgeben. Diese Tatsache kam Mia zwar ein wenig merkwürdig vor, doch vielleicht wurden hier Testläufe durchgeführt, die für dicht besiedelte Gebiete zu gefährlich waren. Sie hatte keine Vorstellung davon, was das Unternehmen überhaupt produzierte; und diese Information war für ihre Aufgabe auch vollkommen belanglos.
Sie fuhr zum Tor vor, wo ein bewaffneter Wachmann in einem Glashäuschen saß. »Ausweis«, forderte der knapp und streckte die Hand aus dem Fenster.
»Heute ist mein erster Tag. Ich muss mich erst noch bei der Personalabteilung melden, damit ich einen Werksausweis bekomme.«
»Dann brauche ich Ihren Führerschein. Sie haben doch sicher Verständnis dafür, dass ich zuerst dort anrufen muss.«
Interessant. Ihr Vorstellungsgespräch hatte damals nicht auf dem Gelände der Forschungsanlage, sondern in einem Hotel im Stadtzentrum stattgefunden. Und obwohl sie im Vorfeld den Weg abgefahren war, hatte sie sich dem Tor nicht genähert. In anderen Unternehmen, wo sie beschäftigt gewesen war, hatten die Wachleute längst nicht so ein Auge auf alles
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