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So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein!: Tagebuch einer Krebserkrankung (German Edition)

So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein!: Tagebuch einer Krebserkrankung (German Edition)

Titel: So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein!: Tagebuch einer Krebserkrankung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Schlingensief
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meiner selbst, weil ich mir selbst nicht traue. Weil ich weiß, dass ich gar nicht mehr in der Lage bin, tatsächlich zu glauben, was ich denke.
    Das ist der Wahnsinn an der ganzen Sache, auch jetzt. Einerseits gehst du los und sagst, du machst das jetzt, das wird klappen, alles wird gut. Andererseits glaubst du dir diesen Optimismus nicht und denkst, ja, aber nachher habe ich nur noch einen halben Atem, beim Ficken pfeif ich aus dem Mund oder was weiß ich was, das wird doch alles nix mehr, das ist alles Scheiße hier.

    Tumor als Berufung
     
    Ich geh jetzt mal schlafen, weil ich morgen wahrscheinlich früh weitermachen muss. Und wenn ich dann unters Messer muss, will ich vorher noch ein paar Gedanken zur Heilige-Johanna-Inszenierung aufzeichnen, mit Carl, Leo und Julian als Protokollchefs, damit ein Konzept herrscht, das schon mal realisiert werden kann, bevor ich wieder auftauche. Und die Intendantin, die Frau Harms, rufe ich an, wenn ich das endgültige Ergebnis habe. Dann sage ich ihr, dass ich meinen Leuten ganz viele Ideen erzählt habe, dass die Bescheid wissen und alles vorbereiten, und dass ich jetzt mal kurz in Quarantäne gehe und dann zurückkomme, in einem Zustand, den ich noch nicht kenne, aber dass ich mir Mühe gebe, dass alles gut wird.
    Und dann komme ich zurück, und wenn es nicht so gut läuft, wenn ich etwas schwächer bin, komme ich halt nur eine Stunde am Tag zur Probe. Dann schreie ich eben nur ein bisschen oder flüstere in ein Mikrofon, und das wird aufgeschrieben und umgesetzt. So machen wir diesen Opernabend, und das ist dann mein Beitrag zur Erlösung im Sinne von Reinigung oder von Verschmutzung oder von Tumor als Berufung.

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    Donnerstag, 17. Januar
    Heute ist Donnerstag. Die Punktion in Oberhausen ist abgesagt. Um zehn Uhr kam die Nachricht, dass Dr. Bauer aus Berlin angerufen hat und sich gleich sehr nett erkundigt hat, was da los sei. Die Übergabe ist jetzt also organisiert. Dr. Weiland hier in Oberhausen meint, der Bauer sei sehr sympathisch, sei echt interessiert und würde sich nicht als Gott aufführen und so weiter. Die Befunde solle ich gleich abholen und mitnehmen nach Berlin.
    Heute Nachmittag fliegen wir. Leo holt uns ab. Dann fahren wir in die Wohnung und treffen Imke und Julian. Und dann bequatschen wir alles und gehen vielleicht Pizza essen. Morgen um neun sitze ich im Sekretariat in Zehlendorf, und der Bauer schaut sich das an und macht vielleicht sogar schon morgen die Punktion. Ja, so sieht das aus. Eigentlich ist das schön. Und neben Aino zu schlafen heute Nacht war auch wunderschön.
    Heute Morgen war ich auch wieder kurz traurig. Es schwankt zwischen Nicht-fassen-Können und einer gewissen Kühlheit oder auch Kühnheit. Und jetzt werden wir uns mal fertig machen, etwas frühstücken, dann die Sachen im Krankenhaus abholen und nach Berlin düsen. Ja, so sieht es im Moment aus.

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    Freitag, 18. Januar
    Der Abschied von meiner Mutter gestern in Oberhausen war merkwürdig. Man merkt, wie sehr sie die Situation aufregt, aber auch, wie wenig sie das alles wahrhaben will. Dann stopft sie wie eine Irre Kuchen in sich rein, eigentlich total süß, aber auch verzweifelt um Normalität bemüht.
    Man stellt sich ja vor, dass alle weinen, permanent um einen herum sind, der arme Christoph oder so. Aber wenn dann jemand sagt, so, ich gehe jetzt Fernsehgucken, dann kehrt er in eine Normalität zurück, die es für mich nicht mehr gibt.
    Diesen Prozess habe ich bei meinem Vater erlebt. Er lag da in seinem Bett, hatte die Aufmerksamkeit von uns, Händchen halten und auch gucken, aber irgendwann ist man gegangen, weil man es nicht aushalten konnte. Man schafft es nicht, ununterbrochen bei jemandem zu sitzen, der nicht mehr am normalen Leben teilnehmen kann. Ich glaube, da gibt es ein Missverhältnis zwischen dem Erlösten und den Unerlösten, also zwischen dem Sterbenden und den anderen Menschen, den Gesunden, die noch glauben, sie könnten sich selbst erlösen, den Faden dazu aber verloren haben und nun wahllos nach Tauen, Seilen oder irgendwelchen anderen Gegenständen greifen, immer in der Hoffnung, den Faden zur Erlösung zu finden. Jemand, der schon halb tot rumliegt, ist aber so nah an der echten Erlösung, dass derjenige, der noch an die Täuschung, das irdische Abbild von Erlösung glaubt, das nicht aushalten kann. Das passt eben nicht zusammen.
    Vielleicht biege ich mir das auch alles gerade zurecht, denn ich kann nicht abstreiten, dass ich mich manchmal

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