So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein!: Tagebuch einer Krebserkrankung (German Edition)
sehr alleine fühle. Ich habe mir den Kamin angemacht und höre Mozart. Natürlich das Requiem. Aino ist heute Morgen wieder zur Probe gefahren, während für mich derWeg in die neue Klinik ein bisschen wie derWeg zum Schafott ist. Na ja, dann ist sie eben nicht dabei. Dann geht sie halt zur Probe. Sie braucht wohl auch Normalität.
Jedenfalls war gestern Abflug aus Oberhausen. Um halb fünf sind wir in Berlin gelandet, Leo hat Aino und mich abgeholt und nach Hause gefahren. Da warteten schon Julian und Imke, und das war sehr schön. Ist ein tolles Team. Wir haben gemeinsam beraten, was jetzt ansteht, was zu regeln ist, wenn ich unters Messer muss.M Irgendwann sind wir dann gemeinsam Pizza essen gegangen. Auch das war eigentlich sehr schön, aber auf dem Weg zum Lokal kam plötzlich der Gedanke hoch, dass es vorbei ist.Vielleicht nicht, dass es vorbei ist, aber dass das ein Gang durch eine Landschaft ist, die mir nicht mehr zur Verfügung steht. Dass ich mit meinen Leuten vielleicht nie mehr unbeschwert Pläne schmieden und Spaß haben kann. Solche Gedanken kommen. Und dann bricht plötzlich dieses Weinen aus. Kein Weinen, wo man sich bemitleidet, sondern ein unglaublich trauriges Weinen, so ein Trauerweinen, wo man eine Ahnung davon kriegt, dass das alles ja nicht immer so sein wird, dass das ja vorbeigeht. Und ich lebe doch so gerne.
Aber vielleicht habe ich auch nicht richtig gelebt, vielleicht habe ich nur sehr viel Hektik verbreitet. Obwohl ich mich auch verwöhnt habe. Ich dachte jedenfalls, ich hätte mich viel verwöhnt. Ich habe lecker gegessen, ich habe gern getrunken und ich habe gern lange geschlafen. Ich bin um die Welt gereist. Ich habe viele, viele Sachen machen dürfen. Eigentlich könnte ich dankbar sein. Aber man sitzt dann da und wird traurig, weil man sich wünscht, einfach wieder unbeschwert sein zu können. Man möchte sich eben keine Gedanken machen, ob das jetzt das letzte gemeinsame Essen ist. Gar nicht dran denken müssen – das wäre schön.
Gerade habe ich noch einmal überlegt, dass Jesus beim letzten Abendmahl wahrscheinlich doch nicht wusste, dass er anschließend verraten wird. Er hat gewusst, dass es irgendwann passieren wird, aber den genauen Zeitpunkt kannte er nicht. Den Tag und die Stunde und die Minute nicht zu kennen, das ist ja eigentlich gut, das ist ja letzten Endes der Beweis für die Offenheit des Lebens. Aber trotzdem möchte der Mensch partout das Datum wissen, möglichst noch auf die Sekunde genau. Dabei könnte er, wenn er wüsste, wann er stirbt, die Zeit davor nicht mehr genießen. Das wäre wohl das Schlimmste, was einem passieren könnte: wenn einem die Stunde des Todes auf die Minute genau vorausberechnet wäre. Denn selbst wenn es erst in fünfzig Jahren wäre, würde man von dem Moment an, wo man es weiß, runterzählen, könnte sich dem Leben nicht mehr öffnen. Es wäre wohl die radikale Unfreiheit.
Irgendwann sind wir dann aufgebrochen und ich bin in die Wohnung zurückgekehrt. Aino kam von der Probe und ist ziemlich schnell ins Bett gegangen, weil sie so müde war. Ich habe mich dazugelegt, das war paradiesisch. Es könnte echt alles paradiesisch sein.
Der heutige Morgen war ganz in Ordnung. Ich habe einen Berg E-Mails weggearbeitet und vor der Punktion noch schnell einen Zettel für den Fall der Fälle geschrieben.
Ein paar Dinge müssen geklärt sein. Ich möchte, dass meine Mutter bis an ihr Lebensende gut versorgt wird und alles verbraten kann, was an Geld reinkommt. Ein anderer Wunsch von mir ist, dass die Filme verfügbar bleiben. Außerdem sehne ich mich zurzeit sehr danach, dass meine Internetseite mehr Struktur bekommt, damit man sehen kann, was in den 47 Jahren alles passiert ist, was der Typ in seinem Leben so gemacht hat. Im Augenblick findet man sich einfach nicht zurecht. Ich möchte, dass man meine Sachen chronologisch verfolgen kann, nach Jahreszahlen geordnet. Und wenn man die Jahreszahl hat, kommt man in die Abteilung Projekt, und dann kommt man in die Abteilung Fernsehen, Theater, Oper, was weiß ich. Nicht so ein Durcheinander wie im Augenblick. Ich will, dass man sehen kann, in jenen Jahren ist das und das passiert. Schluss.
Und wenn nachher durch den Verkauf meiner Sachen wirklich etwas Geld reinkommt, dann fände ich es schön, wenn mein Büro hier noch zwei, drei Jahre weiterlaufen könnte, um alles ein bisschen zu ordnen, um Klarheit in meine Arbeit zu bringen.
So eine Hinterlassenschaft ist mir wichtig. Ich denke
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