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So still die Toten

So still die Toten

Titel: So still die Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Burton
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Prolog
    Der faulige Geruch nach verwesendem Fleisch weckte die Frau aus dem Dämmerschlaf der Betäubungsmittel und brannte ihr in Nase und Lunge, als hätte jemand soeben eine Ammoniakampulle geöffnet.
    Sie blinzelte, kämpfte sich ins Bewusstsein zurück und suchte in der pechschwarzen Finsternis nach irgendeinem Hinweis auf Ort oder Zeit. Aber da war nichts außer dem Gestank, der mit jedem Atemzug stärker wurde. Sie hustete und würgte. Ihr Magen zog sich zusammen, und sein Inhalt stieg ihr in die Kehle.
    Sie hob eine zitternde Hand zum Mund und spürte bei der leichten Bewegung einen stechenden Schmerz in Muskeln und Rippen. Sie hielt inne und wagte aus Angst vor weiteren Schmerzen nicht mehr, sich zu bewegen. Doch die Übelkeit war stärker als alles andere und zwang sie schließlich, sich auf die Seite zu rollen. Tränen stiegen ihr in die Augen, als sie den Rand des Metalltischs umklammerte und sich erbrach, bis ihre Kehle brannte.
    Als das Schlimmste überstanden war, drehte sie sich wieder auf den Rücken und atmete nur noch flach, während sie in die Dunkelheit starrte. Sie schloss die tränenden Augen und wischte sich mit den Fingerspitzen vorsichtig den Mund ab. Der Geruch hing immer noch in der Luft, aber die schlimmste Übelkeit war vorüber.
    Nachdem sie dem Brechreiz nachgegeben hatte, blieb nur noch der Schmerz.
Nur
. Jeder Quadratzentimeter ihres Körpers brannte, pochte, pulsierte.
    Furcht stieg in ihr auf, doch sie bezwang sie schnell. Jetzt war nicht der richtige Moment für einen Zusammenbruch.
    Sie blinzelte. Ein Mal, zwei Mal. Doch die stinkende Finsternis wollte nicht weichen. Es konnte helllichter Tag sein oder Nacht, Winter oder Sommer. Unmöglich zu sagen.
    Noch ein Mal versuchte sie, sich aufzurichten, doch alles in ihr schrie vor Schmerz, und sie sank wieder zurück.
    Wo war sie? Was war geschehen? Sie musste hier raus.
    Versuch, dich zu erinnern.
    Während der letzten Wochen hatte sie das Gefühl gehabt, dass jemand sie beobachtete. Zunächst hatte sie geglaubt, es sei nur Einbildung. Doch sosehr sie das Gefühl auch zu verdrängen versuchte, jedes Mal, wenn sie ihre Wohnung verließ, zur Arbeit ging oder am Pilateskurs teilnahm, wurde es stärker. Sehr bald überlegte sie es sich zweimal, ehe sie das Haus verließ. Sie war nicht mehr ins Fitnessstudio gegangen und auch nicht in ihre Lieblingsklubs. Ihre Welt war auf den kurzen Weg zwischen ihrem Zuhause und ihrer Arbeitsstelle zusammengeschrumpft.
    Und dann waren die Briefe gekommen.
Ich liebe dich. Für immer vereint. Du bist immer in meinen Gedanken.
    Die Botschaften waren eine Erleichterung gewesen. Bei der ersten hatte sie sogar lachen müssen.
Natürlich!
Ihr Ex war der Stalker. Sie hatten sich seit drei Wochen nicht gesehen, aber sie wusste, dass er der Spanner war. Er liebte dunkle, erotische Spiele. Er jagte ihr gern Angst ein, und es gefiel ihm, sie aus dem Gleichgewicht zu bringen.
    Nachdem sie wusste, dass er es war, der sie beobachtete, hatte sie engere Röcke und Pullis getragen, sich einen aufreizenden Gang angewöhnt und gehofft, dass ihn Eifersucht quälen würde. Sie hatte einen jüngeren Mann kennengelernt, und es hatte ihr Spaß gemacht, mit ihm herumzuknutschen, wissend, dass ihr Ex sich im Schatten herumdrückte.
    Als sie das rote Samtkästchen mit dem Elfenbeinanhänger gefunden hatte, war ihr klar gewesen, dass sie gewonnen hatte. Sie hatte Macht über ihn, und bald würde er um Verzeihung betteln. Das hatte sie beflügelt. Männer waren simpel. Und schwach.
    »Oh Gott«, flüsterte sie.
    Es war tatsächlich jemand hinter ihr her gewesen. Hatte sie beobachtet und Pläne geschmiedet. Doch es war nicht ihr ehemaliger Liebhaber gewesen.
    Trotz Schmerzen und Übelkeit kämpfte sie sich hoch. »Ich bin am Leben. Und das zählt.« Sie wiederholte die Worte wie ein Mantra.
    Immer wieder blinzelte sie. Die Schwärze sollte weichen, Gestank und Schmerz sollten sich in Luft auflösen. Aber kein Licht ging auf magische Weise an. Das Atmen tat weh, und der Fluss ihrer Gedanken stockte wie dunkles Brackwasser.
    Wo war sie zuletzt gewesen? Im Theater? In ihrer Wohnung? Im Klub?
    Und dann fiel es ihr wieder ein. Sie war ins Duke Street Café gegangen, wo eine spontane Party stattgefunden hatte. Jemand hatte beschlossen, eine großzügige Spende an das Theater zu feiern. Durch die Zuwendung konnten die Gehälter weiterbezahlt und im Frühjahr eine größere, teurere Inszenierung auf die Beine gestellt werden.
    Es war ein

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