Solo: Ein James-Bond-Roman (German Edition)
Gastgeberin? Bond dachte daran, unverzüglich nach Chelsea zurückzufahren, doch seine Neugier war angestachelt, außerdem fühlte er sich von Berufs wegen verpflichtet, Licht ins Dunkel dieser Angelegenheit zu bringen. Er musste sich nur Zugang zum Haus verschaffen. Not kennt kein Gebot – er zog einen Schuh aus und schraubte den Absatz auf. Darunter ragte die fünf Zentimeter kurze, dolchähnliche Klinge hervor, die in der Spezialsohle seines Loafers steckte. Er schob die Klinge in den Spalt neben dem Sicherheitsschloss, bewegte sie leicht hin und her und spürte, als er sie dann umdrehte, wie die Schließnase zurückschnellte und die Tür nachgab. Er drückte sie auf. Es kam ihm viel zu einfach vor, dieses Einbrechen.
Bond schraubte den Absatz zu und zog den Loafer wieder an. Kurz überlegte er, ob er nicht besser die Tür hinter sich schließen und nach Hause zurückkehren sollte – niemandem würde etwas auffallen – , aber da er schon mal die erste Hürde genommen hatte, entschloss er sich weiterzumachen. Wer weiß, was es da zu entdecken gab? Bei seinem Rundgang durch die Küche lauschte er angestrengt, ohne das Geringste zu hören, und so nahm er sich eine Königinpastete und dann noch eine Scheibe Räucherlachs. Köstlich. Auf einem Getränkewagen stand eine beachtliche Sammlung Spirituosen. Nach einer Sichtung des Angebots (offenbar wurden einige Kampftrinker erwartet) war Bond versucht, sich einen Schluck Whisky zu genehmigen, weil es sich hier um Dimple Haig, eine seiner Lieblingssorten, handelte, verwarf den Gedanken jedoch – es war nicht der richtige Moment. Dann änderte er seine Meinung und schenkte sich drei Finger breit in ein Glas ein, bevor er seinen Rundgang fortsetzte.
Die Räume im Erdgeschoss waren weitläufig und hatten hohe Decken: ein Esszimmer und ein Wohnzimmer mit schönen Stuckleisten und Fenstertüren zum Garten. Auf der anderen Seite der Diele befanden sich Garderobe und Gästetoilette sowie ein kleines Arbeitszimmer, in dem er länger verweilte. Eine Wand war mit Bücherregalen bedeckt – überwiegend Biografien und Sachbücher, mit einem deutlichen Schwerpunkt auf Showbusiness-Themen. Als er die unterste Schublade (die unterste immer zuerst) des kleinen Doppelschreibtisches in der Ecke aufzog, fand er zu seiner Verblüffung einen Satz professioneller, großformatiger Hochglanzfotos einer aufreizend halbnackten Bryce Fitzjohn vor. Auf manchen Bildern trug sie einen winzigen Lederbikini, auf anderen war sie oben ohne und hielt sich den Arm sittsam vor die Brüste. Es gab auch welche mit aufwendigem Make-up, im Gebläse der Windmaschine wehenden Haaren und tiefem Dekolletee. Eine Serie zeigte sie von hinten, nackt in einem zerwühlten Bett aufgerichtet, mit zerzausten Haaren, angedeuteter Pospalte und Schlafzimmerblick im Halbprofil. Bei jedem Foto lautete die Bildunterschrift »Astrid Ostergard«. Bryce Fitzjohn führte anscheinend ein Doppelleben. Der Name kam Bond bekannt vor – wo hatte er ihn schon mal gesehen? Er sah die Fotos durch – war sie Schauspielerin, Tänzerin, Fotomodell? Edelprostituierte? Am liebsten hätte er ein Foto als Andenken eingesteckt.
Eine rasche Durchsuchung der anderen Schreibtischschubladen ergab nichts Außergewöhnliches. Ihrem Reisepass nach hieß sie tatsächlich Bryce Connor Fitzjohn, 37 Jahre alt, in Kilkenny, Irland, geboren. Es wurde Zeit, sich das Obergeschoss vorzunehmen. Bond trank seinen Whisky aus und stellte das Glas auf dem Schreibtisch ab.
Oben befanden sich zwei Schlafzimmer, davon eines mit angrenzendem Badezimmer, das eindeutig Bryce gehörte. Bond öffnete sämtliche Schränke, Schubladen sowie das Medizinschränkchen im Bad – es gab nichts, das auf einen Mann im Haus schließen ließ. Im Gästezimmer wiesen nur ein altes, halbleeres Zigarettenpäckchen mit vertrockneten Gauloises und eine zerlesene Ausgabe von Frank Harris’ Mein Leben und Lieben auf eine flüchtige männliche Präsenz hin. Diese Fotos unter Pseudonym waren nach wie vor sein einziger Anhaltspunkt –
Das Geräusch eines Motors – Diesel – und kieselschleudernder Reifen ließ Bond einen Moment innehalten, bevor er zum Fenster ging und vorsichtig hinausspähte. Draußen fuhr ein Pannenwagen mit einem Triumph Herald 13/60 Cabrio im Schlepptau vor. Links stieg Bryce Fitzjohn aus dem Führerhaus des Abschleppwagens aus, während auf der anderen Seite ein Mechaniker in Overall auftauchte und den Herald abhängte. Bond beobachtete, wie Bryce dem Mann einen
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