Schnappschuss, Kuesse & das große Chaos
Ein Fotograf und sein Model
Abgehetzt bogen Franse und Lilli um die Ecke des Flurs. Die Tür zum Klassenzimmer stand noch offen. Das ist ein gutes Zeichen, dachte Franse. Ein Blick in die Klasse bestätigte: Jesse machte gerade auf den letzten Drücker seine Hausaufgaben. Bison hatte noch die Kopfhörer seines MP 3-Players in den Ohren und die FüÃe mit den schmierigen Sneakers auf dem Tisch. Thea diskutierte mit ihrer Busenfreundin Aylin ihr neues Nageldesign.
»Glöckchen ist noch nicht da!«, stellte Lilli zufrieden fest. »Ob sie immer noch krank ist?«
Die beiden warfen die Rucksäcke auf den Boden und rutschten auf ihre Plätze. Franse grinste zu Jesse hinüber und nutzte ebenfalls die Zeit, um noch einen Blick auf ihre hektisch hingekritzelten Mathehausaufgaben zu werfen.
Wenige Augenblicke später ertönten Schritte auf dem Flur. Doch als Franse sich umblickte, betrat nicht wie erwartet die Kunstlehrerin den Raum, sondern Frau Kullerbeck, die Klassenlehrerin. Ihr folgten ein junger Mann mit Pferdeschwanz und ein hellblondes Mädchen. Nanu? Da Frau Kullerbeck nichts davon hielt, wenn die Schüler ihre Hausaufgaben in der Schule erledigten, stopfte Franse das Matheheft schnell in die Tasche zurück. Frau Kullerbeck und ihre Begleiter waren inzwischen zum Lehrerpult gegangen, und die Klassenlehrerin wartete mit strenger Miene, bis Bison seine Kopfhörer im Rucksack verstaut hatte.
»Guten Morgen«, sagte sie dann. Die Klasse antwortete leiernd. »Wie ihr ja sicher bemerkt habt, ist Frau Glock seit Kurzem häufiger krankgeschrieben. Wie ihr vielleicht auch wisst, erwartet sie ein Baby.«
Einige in der Klasse nickten. Franse stellte beschämt fest, dass sie sich nie Gedanken darüber gemacht hatte, warum die Kunstlehrerin immer rundlicher wurde.
»Macht euch keine Sorgen, es geht ihr gut«, sagte Frau Kullerbeck lächelnd, »aber der Arzt hat ihr trotzdem geraten, ein wenig kürzer zu treten. Deshalb wird Frau Glock bis zur Geburt ihres Kindes nicht mehr zurückkehren.« Sie machte eine Pause, in der es in der Klasse mucksmäuschenstill blieb.
Franse freute sich für Frau Glock, aber eigentlich starrte sie, wie alle anderen, neugierig auf das seltsame Paar neben Frau Kullerbeck.
»Da wir bis zu den Sommerferien keine Vertretung bekommen würden und die anderen Kunstlehrer völlig ausgelastet sind«, fuhr die schlieÃlich fort, »haben wir das Glück, einen ganz besonderen Ersatz gefunden zu haben.« Mit einer ungewöhnlich schwungvollen Handbewegung deutete sie auf den Mann mit dem Pferdeschwanz.
Aus Theas und Aylins Ecke ertönte ein Luftschnappen. Dann albernes Kichern. Das war ja klar! Thea und Aylin waren sicher knallbegeistert von dieser Erscheinung. Und von der Aussicht, dass dieser Typ ab jetzt den Kunstunterricht übernehmen würde.
Der Mann schickte ein Zahnpastalächeln durch die Reihen und Thea kicherte schon wieder. Na, das konnte ja heiter werden!
»Herr Jonas Kermann war auch einmal Schüler an dieser Schule«, fuhr Frau Kullerbeck fort. »Er ist Fotograf und Künstler und ⦠einigen von euch auch unter dem Namen JoKe bekannt.«
Jetzt schnappte auch Franse nach Luft. Das war der Künstler, in dessen Ausstellung sie letzte Woche mit ihrem Vater gewesen war! Er machte einfach unglaublich gute Bilder! Sie hätte gern einen Fotokurs bei ihm gemacht, aber dafür musste man sechzehn Jahre alt sein. Jetzt war er ihr Kunstlehrer!
Während Frau Kullerbeck jede einzelne Ausstellung der letzten Jahre aufzählte, begannen Thea und Aylin aufgeregt zu flüstern. Herrn Kermann schien die Situation zu genieÃen. Mit charmantem Lächeln hörte er der Lehrerin zu, während er sich langsam in der Klasse umsah.
Das schmale Mädchen neben ihm sah gelangweilt zu Boden. Für eine Assistentin war sie noch viel zu jung, fand Franse. Ob sie eine neue Schülerin war? Aber sie war viel gröÃer als die anderen Mädchen.
Auch Frau Kullerbeck schien inzwischen gemerkt zu haben, dass noch jemand neben ihr stand. »Herr Kermann hat euch auch gleich noch eine neue Mitschülerin mitgebracht: seine Tochter Melody«, erklärte sie.
Das Mädchen nickte höflich, lächelte aber nicht. Franse betrachtete sie neugierig. Sie hatte ein wunderschönes, ebenmäÃiges Gesicht. Franse sah sich in der Klasse um und bemerkte, dass Tom sie mit offenem Mund anhimmelte.
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