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Sommerstueck

Sommerstueck

Titel: Sommerstueck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa Wolf
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Kuckuck vielleicht nicht ganz normal ist? fragte Littelmary. Dann beschäftigte sie sich lange mit dem Wort »Honigbrot«, während Ellen einen Pudding kochte, ihn in die fischförmige Porzellanform füllte, anfing, Brot zu schneiden – Tätigkeiten, die sie insgeheim oft entmutigten, die aber geeignet waren, die eigentliche Entmutigung, die sich in ihr ausbreitete, zu mildern und zu beschönigen. Irgendwann würde sich doch die Unlust an dem geschriebenen Wort wieder auflösen müssen. Wenn auch nicht Unbefangenheit, die für immer verscherzt war, wenigstens Erkenntnisfreude würde sich wieder einstellen, hoffte sie. Selbst dann, wenn sie sich gegen uns, gegen mich selber richten muß. Anscheinend haben die Götter vor die Selbstbezichtigung eine Zone des Verstummens gelegt, des Schweigens. Schon wieder diese pathetischen Ausflüchte. Zu Hilfe kam ihnen, daß das Leben auf den Lande aus sich heraus eine Fülle hatte – oder vortäuschte? –, die beinahe jeden Zustand erträglicher machte. Gefährlich, eigentlich.
    Littelmary wollte jetzt malen und brauchte Papier und Filzstifte. Littelmary würde eine Prinzessin und eine Blumenwiese malen und Ellen das Bild dann schenken. Freust du dich dann? – Dann freu ich mich sehr, sagte Ellen. Der Kuckuck war bei einhundertfünfzig.
    Die brennend gelben Fackeln des Ginsters am Weg. Die Rote Flöte, sagte Jenny, sei früher einmal eine wichtige Handelsstraße gewesen. Salz und Eisenerz. Jetzt könnte auf diesem unwegsamen Sandweg nicht mal mehr ein Auto fahren. Dann standen sie an der Kreuzung. Sahen, die Vormittagssonne im Rücken, den Kater unten liegen.Siehst du ihn, Tussy? Siehst du, wie er atmet? Sich dehnt und räkelt? Tussy sah ihn.
    Einhundertvierundfünfzig, einhundertfünfundfünfzig, zählte Luisa, während sie ihrem braunen Schaf Tula Brot hinhielt, ohne mit ihm zu sprechen wie sonst. Das Schweigegebot der Frau aus Wimmersdorf galt doch sicher auch für Gespräche mit Tieren. Heute war der zweite Tag. Wie schön, daß sie noch einen ganzen Schweigetag vor sich hatte, an dem sie immer tiefer in sich hinabsinken würde. Dieser Kuckuck muß krank sein, dachte sie, und der Gedanke machte ihr nicht mehr die gleiche Angst, wie er es früher getan hätte. Früher? Vorgestern. Luisa hatte ihr eigenes Verhältnis zur Zeit.
    Einhunderteinundsiebzig, einhundertzweiundsiebzig, aber nun wurde es wirklich zu bunt. Ellen nahm gerade Wurst und Butter für das Handwerkerfrühstück aus dem Kühlschrank, da brach der Kuckucksruf plötzlich ab. Jetzt standen Jenny und Tussy an der Gartenpforte, jetzt sah Jenny ihre Mutter durch die offene Haustür in der Küche hantieren, jetzt würde sie sich gleich umdrehen. Was ist passiert? fragte Ellen sich. Der Kuckuck! Gottseidank, er hat aufgehört. Dann drehte sie sich um, sah draußen an der Gartenpforte die beiden Gestalten. Jenny! Jenny und Tussy. Spürte ihr Herz losklopfen. Rief: He! Ihr da! Hörte Jenny rufen: Zwei arme Wanderburschen bitten um Quartier. Erwiderte glücklich: Da kann ja jeder kommen, und hörte Jenny sagen: Jeder kommt aber nicht, Frau Mutter. Dann stieg schon Littelmary an Jenny hoch. Hast du den Kuckuck gehört? – Hab ich. – Einhundertdreiundsiebzig Mal? –Einhundertzweiundsiebzig, sagte Jenny. – Ist das nun mehr oder weniger.
    Jetzt dürfte der Sommer nicht mehr aufhören.

6.
    Es mußte so aussehen – und für manche sah es so aus, so daß sie anfingen, Erkundigungen einzuziehen –, als hätten wir uns nach einem ausgeklügelten Plan über die Landschaft verstreut. Aber damals spielte der Zufall noch eine glückliche, nicht immer nur eine unheilvolle Rolle. Anscheinend besaß er gewisse Freiheiten, die er zu nutzen wußte. Urlaubstermine, die zufällig zusammenfielen. Begegnungen, bei denen die Rede zufällig auf Frau Dobbertins unbesetzte Ferienwohnung kam. Anrufe mit der alarmierten Frage, ob das ehemalige Knechtshaus neben Antonis und Luisa tatsächlich noch leer stünde. Ja, ja! rief Luisa ins Telefon, natürlich, kommt! Die Briefe, die sie schrieb: Kommt! Ihr unersättlicher Drang nach Menschen, vollen Häusern, dicht besetzten Tischen. Komm doch, komm. Es ist unglaublich schön hier, du wirst sehen. Die Aufregung in ihrer Stimme, als sie Ellen anrief: Steffi kommt auch. Du, stell dir das vor, Steffi kommt, mit David und Josef! Die wohnen im Knechtshaus, stell dir das mal vor! Ich habe schon alle Fenster aufgerissen. – Ihre Schweigezeit war vorbei.
    Es kann auch sein, daß der Trieb, der uns

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