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Sozialdemokratische Zukunftsbilder

Sozialdemokratische Zukunftsbilder

Titel: Sozialdemokratische Zukunftsbilder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eugen Richter
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Schuldobligationen auch die Sparkassenbücher für null und nichtig erklärt worden seien.
    Agnes fiel, wie sie erzählte, vor Schreck fast in Ohnmacht. Im Bureau hat ihr der Beamte alsdann das unglaubliche bestätigt. Auf dem Wege zu uns hörte sie, dass Deputationen von Sparkassengläubigern vor das Schloss zum Reichskanzler gezogen seien. Auch ich machte mich sogleich dahin auf, Franz ging mit.
    Eine große Menschenmenge war auf dem Schlossplatz versammelt. Auch über die Lassallebrücke, früher Kaiser Wilhelmbrücke, strömten helle Haufen fortwährend nach dem Lustgarten zu. Die Sparkassenfrage erregte alle Gemüter. Die Tore zu den Schlosshöfen waren überall fest verschlossen. Von den vorderen Trupps wurden vergebliche Versuche gemacht, gewaltsam einzudringen. Durch Schießscharten in ewigen Torflügeln, welche ich früher nie bemerkt, starrten plötzlich Flintenläufe der Schlossbeamten entgegen.
    Wer weiß, was noch alles sich ereignet hätte, wenn nicht der Reichskanzler in diesem Augenblick auf dem Balkon des Mittelportals am Lustgarten erschienen wäre und Ruhe geboten hätte. Mit weithin schallender Stimme verkündigte er, die Sparkassenfrage solle sofort dem gesetzgebenden Ausschuss zur Entscheidung unterbreiter werden. Alle guten Patrioten und braven Sozialdemokraten sollten der Gerechtigkeit und Weisheit der Volksvertreter, vertrauen. Ein stürmisches Hoch dankte unserm Reichskanzler.
    In diesem Augenblick rückte von verschiedenen Seiten in rasendem Galopp die Feuerwehr an. In Ermangelung von Polizei hatte man aus dem Schloss, als die Menge gegen die Tore drängte, Großfeuer telegraphiert. Gelächter empfing die brave Feuerwehr. So zerteilte sich denn die Menge in heiterer hoffnungsfreudiger Stimmung. Möge man im Reichstage das Rührige treffen.

4. Berufswahl
    Große, rote Plakate an den Anschlagsäulen, wie ehedem bei Aushebungen und Kontrollversammlungen des Militärs. Dichte Gruppen stehen davor. Nach Maßgabe des neuen Gesetzes fordert, der Magistrat im Auftrage der Staatsregierung alle Personen, männlich oder weiblich, im Alter von 21—65 Jahren zur Berufswahl auf binnen 3 Tagen. Auf allen ehemaligen Polizeibureaus und Standesämtern werden Erklärungen entgegengenommen. Frauen und Mädchen wird ausdrücklich in Erinnerung gebracht, dass sie vom Tage des Arbeitsantritts in den Staatswerkstätten, welcher noch näher bekannt gemacht werden würde, in der eigenen Häuslichkeit befreit sind vom Kinderwarten, von Bereitung der Mahlzeiten, Krankenpflege und Wäsche. Alle Kinder werden in Kinderpflegeanstalten und Erziehungshäusern des Staates untergebracht. Die Hauptmahlzeit ist in den Staatsküchen des Bezirks einzunehmen. Alle Erkrankten sind an die öffentlichen Krankenanstalten abzuliefern, die Leib- und Bettwäsche wird zur Reinigung in großen Generalanstalten abgeholt. Die Arbeitszeit ist in allen Berufsarten für alle Männer und Frauen in den Staatswerkstätten und bei sonstigen öffentlichen Dienstleistungen die gleiche und beträgt bis zur anderweitigen Festsetzung 8 Stunden täglich.
    Über die Befähigung zu der gewählten Arbeit sind Bescheinigungen beizubringen, die bisherige Berufsarbeit ist auf den Meldungen anzugeben. Meldungen in dem Beruf als Geistlicher werden nicht angenommen, da laut Beschluss des Erfurter Parteitages vom Jahre 1891, welcher in das Staatsgrundgesetz übergegangen ist, alle Aufwendungen zu religiösen und kirchlichen Zwecken aus Staatsmitteln verboten sind. Denjenigen Personen, welche sich trotzdem dem geistlichen Beruf widmen wollen, bleibt es freigestellt, dies in ihren Mußestunden zu tun nach Erfüllung der normalen Arbeitszeit in einem staatsseitig anerkannten Berufe.
    Das Leben auf den Straßen glich nach Bekanntwerden dieser Aufforderung demjenigen an den Musterungstagen in einer Kreisstadt. Die Personen gleicher Berufsart taten sich truppweise zusammen und durchzogen, mit Abzeichen des gewählten Berufs geschmückt, singend und jubelnd die Stadt. Frauen und Mädchen stehen umher und malen sich die Annehmlichkeiten des gewählten Berufs nach Befreiung von der Hausarbeit in lebhaften Farben aus. Man hört, dass sich viele Personen einen neuen Beruf gewählt haben. Manche scheinen zu glauben, dass die Wahl des Berufes schon gleichbedeutend sei mit der Einstellung in denselben.
    Ich, mein Sohn Franz, meine Schwiegertochter Agnes, wir alle werden dem bisherigen Beruf, den wir lieb gewonnen, treu bleiben und haben dies auch erklärt. Meine Frau hat

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