1741 - Die Shanghai-Falle
Shao war eine Frau, die im Allgemeinen sehr schnell reagierte. In diesem Fall jedoch, der so plötzlich geschehen war, blieb sie unbeweglich. Sie glaubte an einen Traum. Sie stand da, starrte nach unten, sah das Schreckliche und war nicht fähig, es normal aufzunehmen.
Der Mann lag. Etwas hatte sein Gesicht zerstört. Er war noch jung gewesen, er hatte Shao eben noch zugelächelt und jetzt lag er tot am Boden.
Zwei Hände griffen zu und rissen Shao zur Seite. Dann sah sie jemanden vor sich und schaute dabei in ein Gesicht, das sie sehr gut kannte.
Es war Suko, ihr Partner, der ihr durch seinen Körper Schutz gab und sie dabei fragend anschaute.
Shao wusste nicht, wie sie reagieren sollte. Sie schnappte nach Luft und sagte mit rauer Stimme: »Es ist schon okay – es ist vorbei.«
Beide starrten auf den Toten, dessen Gesicht so grausam zerstört worden war. Etwas Glänzendes steckte in dessen Mitte, war aber so tief in das Gesicht eingedrungen, dass es unmöglich war, es zu identifizieren.
Jedenfalls war es eine Mordwaffe. Und Suko sah noch etwas. Neben der Leiche lag ein Fetzen Pappe. Die konnte dahin geweht worden sein. Möglicherweise hatte sie aber auch jemand verloren. Suko war neugierig. Und so bückte er sich und hob die Pappe auf. Erst jetzt sah er, dass sie auf einer Seite beschrieben war.
Erste und letzte Warnung, las er. Es wäre besser, wenn ihr wieder zurückfliegt.
Suko steckte die Pappe ein. In den letzten Sekunden waren er und Shao sich vorgekommen wie auf einer Insel. Das war nun vorbei. Plötzlich schien ein riesiger Vorhang zur Seite gezogen worden zu sein, um die Bühne mit der Realität zu präsentieren. Das bedeutete das große Chaos, das sie umgab.
Es hatte ja genügend Zeugen gegeben, die diese schreckliche Tat mit angesehen hatten. Auch sie hatten wie unter einer Starre gestanden, doch nun kam ihnen zu Bewusstsein, was da passiert war.
Schreie gellten auf.
Im Nu entstand ein Chaos. Menschen rannten nach allen Seiten weg. Andere wollten zum Tatort, und so kam es zu Behinderungen. Einige Passagiere fielen zu Boden oder stolperten über ihr Gepäck. Jeder wollte sehen, wer da auf dem Boden lag und was mit ihm passiert war.
Sekunden dehnten sich zu Ewigkeiten. Dann erklangen die ersten schrillen Pfiffe aus Polizeipfeifen. Im Nu waren die Männer der Security da. Sie trieben die Leute zur Seite, die schließlich froh waren, sich entfernen zu können.
Zwei liefen nicht weg. Das waren Shao und Suko. Sie blieben bei dem Toten stehen, neben ihnen stand das Gepäck. Nicht mehr als zwei weiche und gut gefüllte Reisetaschen.
Aus dem Hintergrund rannten Polizisten herbei.
Shao und Suko fühlten sich eingekreist, aber da gab es plötzlich einen Mann, dessen Stimme alles übertönte.
»Weg da, verdammt!«
Die Security-Männer und Polizisten hielten inne. Sie schauten nach rechts und sahen den Mann im grauen Anzug auf sich zueilen. Er machte den Eindruck eines Mannes, der sich durchaus Respekt verschaffen konnte, und das war auch hier der Fall. Er fuhr die Männer mit einer Stimme an, die keinen Widerspruch duldete.
Die Leute zuckten zusammen, nahmen dann Haltung an und verbeugten sich, bevor sie sich zurückzogen, aber in Sichtweite blieben.
Shao und Suko waren nur Zuschauer gewesen, die alles genau registriert hatten. Es war in ihrem Sinne gelaufen und Shao fragte mit leiser Stimme: »Ist er das?«
»Ja, ich denke schon. Er hat sich zwar verändert, aber ich bin mir ziemlich sicher.«
»Wunderbar.« Sie lachte leise. »An einen derartigen Empfang kann ich mich für meinen Teil nicht erinnern. Das ist ja der reine Wahnsinn, und jetzt...«
Suko lächelte. Dann lachte er leise, und plötzlich lagen sich zwei Männer in den Armen. Sie schlugen sich gegenseitig auf die Schultern, sie sprachen und verloren ihre Fassung, was bei Chinesen selten vorkam.
Shao stand etwas abseits. Dabei dachte sie über den Killer nach und auch darüber, ob er von Zeugen gesehen und auch verfolgt worden war. Sie glaubte es nicht. Das allgemeine Durcheinander war einfach zu groß gewesen, aber damit würden sie sich später beschäftigen können.
Suko und sein Freund aus alten Tagen – das hatte er Shao so erklärt – lösten sich voneinander. Suko fasste den Mann am Arm und drehte ihn so, dass er Shao anschauen konnte.
»Das ist sie, Dau Xing.«
Der Mann im grauen Anzug nickte. Dabei strahlte er Shao an. Dann sagte er: »Sie ist viel schöner, als du sie mir beschrieben hast.« Er verbeugte sich leicht,
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