Sozialdemokratische Zukunftsbilder
den Reichskanzler die Frage, wie man nach einer Ausdehnung des Maximalarbeitstages auf 12 Stunden einer daraus folgenden größeren Lässigkeit in Erfüllung bei Arbeitspflicht zu begegnen gedenke und welche Stellung die Reichsregierung einnehme zur Frage der Volksvermehrung.
Reichskanzler: In Bezug auf Vergehen gegen die Arbeitspflicht dürfte allerdings die Ausdehnung des Arbeitstages eine Vervollständigung des Systems der Strafarten notwendig machen durch Einführung der Entziehung des Bettlagers, des Dunkelarrestes, des Lattenarrests und für Wiederholungsfälle auch der Prügelstrafe. (Pfuirufe von der Tribüne. Der Präsident droht, wenn trotz seiner Warnungen nochmal Kundgebungen von der Tribüne erfolgen, dieselbe sofort räumen zulassen.)
Ich bitte mich nicht misszuverstehen, wir werden in Bezug auf die Prügelstrafe nicht empfehlen, über 30 Streiche hinauszugehen. Es kommt uns nur darauf an, das sozialdemokratische Bewusstsein der Arbeitspflicht auch in körperlich Widerstrebenden auf diese Weise zum Durchbruch zu bringen.
Hinsichtlich der Regulierung der Volksvermehrung halten wir im Prinzip an dem Bebelschen Grundsatz fest, dass unser Staat jedes Kind als einen willkommenen Zuwachs der Sozialdemokratie betrachtet. (Beifall rechts. ) Allerdings muss auch dies seine Grenzen haben, und können wir nicht dulden, dass eine zu weit gehende Volksvermehrung das Gleichgewicht im Volkshaushalt wieder in Frage stellt, nachdem es durch die vorgeschlagenen Maßregeln demnächst erzielt sein wird. Es dürfte indessen, wie wir Ihnen in der Budgetkommission noch näher klar zu machen hoffen, entsprechend den von Bebel schon früher in dankenswerter Weise gegebenen Fingerzeigen möglich sein, die Bevölkerungszahl durch die Nährweise in erheblichem Maße zu regulieren. Denn wie Bebel ebenso schön als treffend sagt, der Sozialismus ist die mit klarem Bewusstsein in toller Erkenntnis auf alle Gebiete menschlicher Tätigkeit angewandte Wissenschaft (Lebhafter Beifall rechts. )
Präsident: Da weiter keine Fragen an den Herrn Reichskanzler gestellt werden, so können wir nunmehr geschäftsordnungsmäßig in die Diskussion selbst eintreten. Ich werde den Rednern der beiden großen Parteien zur Rechten und zur Linken abwechselnd das Wort erteilen und mit der linken Seite beginnen. Das Wort hat der Herr
Abgeordnete für Hagen: Mich gelüstet es durchaus nicht, den Herrn Reichskanzler nach Einzelheiten seines Programms zu fragen, denn was wir jetzt schon in der Praxis von den Früchten der sozialdemokratischen sogenannten Ordnung vor uns sehen und nach den bisherigen Ankündigungen des geehrten Herrn demnächst noch zu erwarten haben, ist schon überreichlich, um die Seele mit Widerwillen und Abscheu zu erfüllen gegen diejenigen Zustände, welche uns die Sozialdemokratie in Deutschland gebracht hat. (Große Unruhe rechts, lebhafter Beifall links). Allerdings die grauenhafte Wirklichkeit übertrifft selbst dasjenige, was als Folge einer Verwirklichung des sozialdemokratischen Programms ein früherer Abgeordneter meines Wahlkreises vorausgesehen hat (Rufe rechts: Aha, der „Irrlehrenmann“, der „Sozialistentöter“) Ich Sehe, die Herren auf der rechten Seite haben die Schrift des verdorbenen Abgeordneten Eugen Richter über „die Irrlehren der Sozialdemokratie“ noch immer nicht verwinden können 1 ).
Hätten Sie sich nur damals aus Ihren Irrlehren heraus zu klaren Begriffen über den Zusammenhang der wirtschaftlichen Dinge zu erheben vermocht! Das Jahresdefizit von 12 Milliarden, vor dem Sie jetzt stehen, bedeutet die Bankrotterklärung der Sozialdemokratie. (Großer Lärm rechts. ) Sie, Herr Reichskanzler, verhüllen nur den Tatbestand, wenn Sie das Milliardendefizit versuchen in erster Reihe den Feinden der Sozialdemokratie zur Last zu legen.
Allerdings starrt Deutschland jetzt von Soldaten und Polizeibeamten, wie nie zuvor. Wenn aber in der Sozialdemokratie alle Lebensverhältnisse nach Innen und nach Außen der Einwirkung des Staates unterstellt werden, so müssen Sie auch die dazu gehörigen Vollstrecker der Staatsgewalt in den Kauf nehmen. Es ist richtig, unser Außenhandel liegt kläglich darnieder, aber was anders ist daran Schuld, als die Umgestaltung der Produktion und Konsumtion bei uns und in den sozialdemokratischen Nachbarländern!
Doch alles dies reicht ja nicht aus, das Milliardendefizit auch nur zu einem Viertel zu erklären. Der Herr Reichskanzler will das Defizit teilweise aus der Verkürzung
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