Spinnen füttern
geachtet wird und jedes Gespräch eine eigene Zeit hat, wenn jede Kugel ins Schwarze trifft und die närrische Geschichte ihren angemessenen Abschluss gefunden hat, wenn Waisenkinder am Weihnachtstag kleinwüchsige Diktatoren erschießen, bin ich glücklich und spritze weit über mein Ziel hinaus. Ich spritze schwere, taufeuchte Rhapsodien an die Wände, glibbrig weiße, abstrakte Figuren. Es kommt vor, dass ich meine eigenen Augen treffe und eine Weile geblendet bin. Ich stehe auf und suche Wasser, indem ich dem Gluckern der Leitungen folge, dem Knarren der rostigen Wasserhähne in unserem alten Haus, bis ich mich in großen Gefängnissen wiederfinde, in dreckigen Gemeinschaftsbädern, Duschen ohne Seife, denn es ist Krieg, und die ausgezehrten, barfüßigen Gefangenen drängen sich in der Kälte aneinander, bis sie unter dem Gebrüll der Wachen und dem Bellen der Hunde begraben werden.
Aber sie haben Glück, diese schwächlichen Opfer der Geschichte und der Menschheit, denn ich habe endlich den Fluss gefunden und wasche mir den Schmutz aus den Augen, ich trete in der Kälte an den Stacheldrahtzaun, ein von den Taschenlampen der Wachen rückseitig beleuchtetes Metallnetz, und befreie die armen Gefangenen und das Mädchen. (Zur Information: Es kommt auch vor, dass ich mehrmals am Tag abspritze.)
Im echten Leben ist es aber so, dass ich, wenn ich Zainab im Treppenhaus treffe, durchaus zu einem höflichen Gespräch imstande bin. Wir begrüßen uns freundlich, und während wir ein wenig verlegen dastehen und auf den Boden sehen, auf die zwischen uns liegenden Schritte, auf die Grenze des Geländers, das uns vor der Versuchung bewahrt, verwickle ich sie in ein Gespräch und frage sie über ihr Leben aus, und sie stellt mir ihrerseits Fragen.
Einmal fragte sie, woher ich komme. Ich erzählte von dem Zirkus, in dem ich aufgewachsen bin, und von meinem Vater mit seinem fliegenden Teppich, der im Osten Gott und seine neunundneunzig Adjektive suchte und von seiner Pilgerreise nicht zurückkehrte.
Als sie fragte, ob ich Moslem sei, sagte ich, Ja und Nein, denn ich trinke und ich begehre, und es kommt vor, dass ich an Feiertagen Zirkushunde streichle, ich verspeise rosa Schweine und gehe weder vor dem Westen noch vor dem Osten in die Knie.
Und deine Mutter, fragte Zainab.
Meine Mutter war Trapezkünstlerin, erzählte ich, eine Seilweberin, die es liebte, wenn die Zwerge ihre Kniekehlen leckten. Manchmal kamen die Clowns und ließen ein paar Münzen da, zum Essen und für die Zuckerwatte. Meine Mutter schloss mich bei diesen Besuchen im Hinterzimmer ein. Von ihr weiß ich, dass wir den Himmel in unseren Handflächen tragen und dass die Hölle irgendwo zwischen Wüste und Nordpol liegt.
Und dann fragte Zainab mich nach dem Namen meines Vaters.
Den habe ich längst vergessen, sagte ich, er machte sich aus dem Staub, bevor ich Gelegenheit hatte, ihn auf festem Grund zu sehen. Ich erinnere mich nur noch an seinen Turban, den er bei seiner Teppichnummer trug. Eines Tages, vor tausend Zuschauern, blieb der Teppich stehen und stürzte ab. Danach begann er zu grübeln, über Scham und Tod und den Sinn des Lebens.
Ich weiß noch, wie das Lied ging, das die Flüge meines Vaters begleitete. Zigeunerjuden hatten es komponiert, gespielt wurde es von einer bedrohlichen Gruppe italienischer Kaninchen. Es klang wie die Musik, mit der die Schlange aus dem Korb gelockt und hypnotisiert wird, eingelullt, um dem segensreichen Mann im Turban zu helfen und die Menschheit zu erfreuen.
Ich hasse Schlangen, ich hasse ihre Boshaftigkeit, sagte Zainab.
Ich liebe ihren freien Geist, sagte ich. Ich liebe die Schlange, weil sie in den Ästen hängt, um uns Weisheit zu schenken. Sie warnt uns vor jenen egoistischen, falschen Demiurgen, die uns verbieten wollen, einander unter dem Kakteenbaum in die Hintern zu ficken (die Stacheln können so schmerzhaft sein) und in ihrem Reich zu ejakulieren, weil wir ihre weißen Wolkenteppiche beschmutzen könnten, die Erbsenbäume des Giganten. Ich liebe die Schlange, weil sie uns beim Tanzen direkt in die Augen sieht, weil sie sich häutet und leise davonschleicht.
Und du, meine liebe Zainab, fragte ich, hat sich dein Vater davongemacht? Hat deine Mutter Fäden und Seile gesponnen?
Ja, sagte sie, mein Vater war ein Getriebener. Mit achtzehn verlor er seine Heimat und wurde staatenlos. Sein Land gehörte ihm nicht mehr, er wanderte von Ort zu Ort. Bis er meine Mutter kennenlernte. Da blieb er, arbeitete,
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