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Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben

Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben

Titel: Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Fromm
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zu lachen, Otto. Das … war ein Befehl, du …«
    Gross rutschte auf den Knien zu ihm, bis der heftig zitternde Lauf der Pistole seine Stirn berührte und zur Ruhe kam. »Na schön, Hermann«, flüsterte er. Der Stahl, der Griff, Musks zitternde Faust, der Zeigefinger, gelb, knochig, mit verwachsenem Nagel, spaltete sein Gesichtsfeld. Die Angst in ihm fühlte sich an wie Kristall. Hinter den Fieberwolken suchte er Musks Blick. »Beende dein lächerliches Heldentheater. Ich bin bereit. Selbst für diesen allerletzten Schwachsinn.«
    Musk versuchte zu sprechen. Es gelang ihm nicht mehr. Sein Kinn deutete zur Treppe. Gross schüttelte den Kopf. »Das musst du schon uns überlassen. Wir sterben nicht als Soldaten. Wir verrecken als Deserteure. Knall uns ab. Vollbring deine letzte große Tat!«
    Musk versuchte ein Lächeln. »Nur du … zählst für mich … Nur du … Komm mit …«
    Gross sah hinab in die sterbenden Augen. Es waren die Augen eines Freundes. Für einen Moment war er versucht, ihn einfach in die Arme zu nehmen, ihn in seinen Armen sterben zu lassen. Aber er konnte es nicht. Selbst dazu war es zu spät.
    »Sentimental bis zum letzten Atemzug«, murmelte er verächtlich. »Es war nicht Schicksal, es war nicht Vorsehung, was uns in dieser verdammten Stadt wieder zusammengeführt hat. Es war nichts als beschissener Zufall. Und dass wir jetzt hier sitzen und gemeinsam verrecken, ist auch nichts als beschissener Zufall. Wir haben keine Aufgabe mehr, schon lange nicht mehr. Bei der einzigen Aufgabe, die uns gestellt war, nämlich unsere Führung zu beseitigen, Leute wie dich, haben wir jämmerlich versagt. Unser Vegetieren ist ebenso blind, wie es unser Tod sein wird. Deiner natürlich nicht, du stirbst für deine Würde, deine Ehre, für Vaterland und Eitelkeit. Du hast es leichter als wir, und deswegen hält sich unser Mitleid in Grenzen. Wenn du unbedingt dort draußen verrecken willst, musst du es allein machen. Mit mir jedenfalls nicht.«
    Er zwang seine Augen, sich von dem sterbenden Gesicht unter ihm loszureißen. Dass er sich von Musk abwandte, war nichts als eine letzte hilflose Geste, denn es würde nichts ändern, weder die kleinen noch die großen Katastrophen, gar nichts, bis zum Schluss.
    Er hörte Schreie in seinem Rücken und drehte sich um. Musk hatte die Pistole gehoben, und die Waffe zeigte auf ihn, und ihm wurde klar, wie lächerlich auf einmal alles war, was er gefühlt und gedacht hatte. Vergeblich, umsonst, der Rauch seines Lebens. Und er wunderte sich, dass er immer noch nicht sterben wollte und spürte deutlich, dass Musk abdrücken würde.
    Ausgerechnet Rollo schlug ihm die Waffe aus der Hand. Der Hauptmann wurde durch den Schlag von seinem Lager gerissen und fiel über das Loch, das die Kugel in den Boden gebohrt hatte. Rollo starrte einen Moment erstaun t auf seine Hand, die zugeschlagen hatte.
    Der Hauptmann kroch auf die Treppe zu, Rollo kroch hinterher. Versuchte ihn festzuhalten. Sie sehen aus wie ein durchgeschnittenes, verstümmeltes Insekt, dess en zwei Hälften sich weiterbewegen, dachte Gross. Ein letztes Zerrbild des Lebens am Portal der Hölle. Angeekelt stellte er fest, dass es Wirklichkeit war. Dass Musk ihn tatsächlich in den Rücken geschossen hätte. Wie es sich für einen Deserteur gehört! Er ging zu ihm, zerrte Rollo beiseite und packte Musk an den Schultern.
    »Lass mich!«, keuchte der H auptmann. »Draußen sterben, frische Luft …«
    »Wozu?«, keuchte Gross hasserfüllt. »Du bist schon lange tot. Aber ich nicht. Ich nicht!«, schrie er in das wachsgelbe Gesicht. »Obwohl du dir alle Mühe gegeben hast!« Blind vor Verzweiflung spie er die Worte in die eingefallenen Züge unter sich. »Seit zwei Jahren schlafe ich nicht mehr, vertreib mir die Zeit mit den Bildern, die ich unfähig war zu malen, wie du weißt. Aber mein Gehirn ist geschickter als meine Hände …« Er brach ab, und seine Stimme sank zu einem heiseren Flüstern herab. »Ich erzähl dir von meinem Lieblingsbild. Ein Selbstporträt. N ach einem Volltreffer. Die übliche Sauerei. Aber weißt du, was dann geschieht? Ich setze mich Stück für Stück wieder zusammen, jede Nacht anders, aber es bin immer ich. Auch du kannst mich nicht töten!«, schrie er in besinnungsloser Wut. Seine Hände fanden das Stück Holz, an dem er geschnitzt hatte, und pressten es auf das Gesicht des Hauptmanns. »Stirb endlich!« Seine Stimme überschlug sich, war kaum noch zu verstehen. »Deine Totenmaske!

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