Star Trek - New Frontier 04 - Die Waffe
du dir irgendetwas ausrenkst.«
Der alte Mann musterte den brillanten jungen Ingenieur von oben bis unten und schmunzelte gutmütig, während er gleichzeitig den Kopf schüttelte. Lawrence Marvick konnte selbst pudelnass nicht mehr als fünfundsechzig Kilogramm auf die Waage bringen, daher wirkte er nicht sonderlich glaubwürdig, wenn er darüber sprach, größere Lasten zu tragen.
»Wenn ich mir angewöhnt hätte, andere Leute alles für mich tun zu lassen«, sagte der alte Mann schließlich, »hätte ich niemals meinen hundertsten Geburtstag erlebt.« Er dachte nicht gerne daran, dass das fragliche Datum bereits zwanzig – nein, einundzwanzig – Jahre in der Vergangenheit lag.
Der alte Mann wandte sich von Marvick ab und blickte stumm auf den Obelisken vor sich. Dieser war vor ungefähr achtzig Jahren errichtet worden, um der ungezählten Verluste zu gedenken, die die Menschheit und die Sternenflotte erlitten hatten, ungeachtet ihrer unablässigen Bemühungen, den Olivenzweig der Freundschaft quer durch die Galaxis auszustrecken. Die ersten Opfer reichten bis in eine Zeit vor jenem ersten Föderationstag im Jahre 2161 zurück.
Zurück bis zum Angriff der Xindi
, dachte der alte Mann. Die dazwischenliegenden Jahrzehnte mochten einen Großteil der Bitterkeit, die er damals verspürt hatte, fortgewaschen haben, aber der Schmerz, den ihm die Xindi zugefügt hatten, war noch beinahe so frisch wie am ersten Tag. Seit damals hatte er mehrfach feststellen müssen, dass der Krieg ein hungriges, unstillbares Monstrum war. Es waren mehr Freunde und geliebte Menschen von seinem Maul zerrissen worden, als der alte Mann zählen wollte. Für gewöhnlich gewann irgendwann jemand die Oberhand in einem Krieg, aber einen richtigen Gewinner gab es eigentlich nie.
Er fragte sich, wie viele weitere Familienmitglieder, Freunde und Feinde dem weitaus langsameren, aber nicht weniger unersättlichen Zahn der Zeit zum Opfer gefallen waren – insbesondere in den letzten paar Jahren. Früher oder später würde auch seine Zeit kommen, selbst wenn ihn bislang weder Krieg noch andere Konflikte das Leben gekostet hatten.
»Es ist kaum zu glauben, dass es sechsundsiebzig Jahre her ist, seit sie die Föderationscharta unterzeichnet haben«, sagte der alte Mann nach längerem Schweigen.
»
Sieben
undsiebzig Jahre«, korrigierte Marvick leise, und er klang dabei beinahe verlegen, dass er den Mann verbessern musste, der ihm im Laufe der Jahre so viel beigebracht hatte. Die Tinte auf Lawrence Marvicks Promotion war noch kaum getrocknet, daher war der alte Mann bereit, über die Neigung des Jungen zu übertriebener Genauigkeit hinwegzusehen.
Er mag es ein wenig zu genau nehmen
, dachte er,
aber wenigstens hat er bewiesen, dass er den Mund halten kann, wenn es darauf ankommt
. Seine Fähigkeit, ein Geheimnis zu bewahren, hatte der Junge bereits zu verschiedenen Gelegenheiten unter Beweis gestellt.
»Siebenundsiebzig Jahre«, wiederholte der alte Mann. »Richtig.«
Er ließ seinen Blick an dem Monument vorbeigleiten. Etwa hundert Meter entfernt bewegten sich einige große Platanen im Sommerwind wie unruhige Kinder. Eine junge Familie – ein rothaariger Mann, der eine ebenfalls rote Sternenflottenuniform trug, eine Frau in einem luftigen Sommerkleid und zwei lebhaft wirkende kleine Jungs – näherte sich gerade noch außer Hörweite über den Hang, der zu dem Monument hinunterführte. Dankbar, dass dieser Ort nicht überfüllter war, legte der alte Mann den Kopf in den Nacken, um die mächtige Gedenksäule vor sich in ihrer ganzen Größe zu betrachten. Ihre stolze, sich verjüngende Form schien den Himmel aufzuspießen und erinnerte ihn an die gewaltigen chemischen Raketen, mit denen die Raumfahrtpioniere eines vergangenen Zeitalters zu den Sternen geflogen waren.
Die raue, granitene Schwere des Monuments beschwor schmerzvolle Erinnerungen in ihm herauf, genau wie er es erwartet hatte. Sein Blick glitt weiter, an der Steinsäule vorbei in die nebelverhangene Ferne, wo die Golden Gate Bridge ihre stumme, frühmorgendliche Wacht zu halten schien. San Francisco wirkte außergewöhnlich still, selbst für einen nebligen Sommersonntag. Im Augenblick war zumindest jeglicher Verkehr auf der Brücke, egal ob bodengebunden oder schwebend, zum Erliegen gekommen. Von den klagenden Schreien einiger Möwen und dem fernen Bellen der Seelöwen abgesehen, lag vollkommene Stille über der parkähnlichen Anlage nahe der Sternenflottenakademie. Die Ruhe
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