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Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Titel: Stefan George - Karlauf, T: Stefan George Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Karlauf
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schämte sich offenbar ein bisschen für die Bleibe, denn er wollte den neuen Freund nur ungern dort empfangen – »trotzdem! besser dort als nirgends«. Nach einem letzten vergeblichen Versuch am 23., den Besuch doch noch in ein Café umzudirigieren, kam es dann am Weihnachtsabend gegen 17 Uhr zu jener Begegnung, der wir eines der unheimlichsten Gedichte verdanken, die ein Dichter auf einen anderen verfasst hat: »Der Prophet«
    In einer Halle hat er mich empfangen
Die rätselhaft mich ängstet mit Gewalt
Von süßen Düften widerlich durchwallt.
Da hängen fremde Vögel, bunte Schlangen.
     
    Das Thor fällt zu, des Lebens Laut verhallt
Der Seele Athmen hemmt ein dumpfes Bangen
Ein Zaubertrunk hält jeden Sinn befangen
Und alles flüchtet, hilflos, ohne Halt.
     
    Er aber ist nicht wie er immer war,
Sein Auge bannt und fremd ist Stirn und Haar.
Von seinen Worten, den unscheinbar leisen
Geht eine Herrschaft aus und ein Verführen
Er macht die leere Luft beengend kreisen
Und er kann tödten, ohne zu berühren. 20
    Das war der andere George. Der Magier und Menschenfänger, dem Hofmannsthal jetzt aus dem Weg ging, indem er zwei Tage später aus Angst vor weiteren Unannehmlichkeiten eine Abreise aus Wien vortäuschte.
George, der spürte, dass Hofmannsthal sich ihm entzog, wollte allen Ausflüchten vorbauen und schrieb noch am gleichen Tag: »An meine abreise ist vorläufig nicht zu denken und wann kommen Sie?« 21 In seiner Erregung vergaß er das Wort »zurück«.
    Zehn Tage, nachdem sie sich kennengelernt hatten, war das Verhältnis zwischen Stefan George und Hugo von Hofmannsthal von gegenseitigem Misstrauen überschattet.
    George verbrachte die letzten Tage des Jahres allein in Wien und fieberte der angeblichen Rückkehr Hofmannsthals entgegen. Er brannte so sehr auf das Wiedersehen, dass er am ersten Werktag des neuen Jahres in der Hofmannsthalschen Wohnung klingelte, um zu erfahren, wo der junge Herr steckte. Mittwoch, den 6. Januar, fing er ihn dann an der Schule ab – und die Tragödie nahm ihren Lauf. »Inzwischen wachsende Angst; das Bedürfnis den Abwesenden zu schmähen«, notierte Hofmannsthal in seinem Tagebuch. 22 Die Aufzeichnung trug die Überschrift »Der Prophet. (eine Episode) Jänner 1892«. In wenigen Stichworten hielt Hofmannsthal die aus seiner Sicht wesentlichen Stationen der Bekanntschaft fest. Indem er George als Propheten charakterisierte, die ganze Angelegenheit jedoch zur »Episode« erklärte, glaubte er seine Faszination durch den Fremden und sein gleichzeitiges Bedürfnis, ihn loszuwerden, auf einen Nenner zu bringen. Der Prophet als Episode war in sich so widersprüchlich wie das Verhältnis selbst.
    Für Sonntag, den 10. Januar, hatte Hofmannsthal endlich einer Verabredung gegen 17 Uhr im Café Griensteidl zugestimmt. Da er jedoch Felix Salten mitbrachte, einen befreundeten jungen Schriftsteller aus dem Kreis um Hermann Bahr, in dessen Begleitung er sich sicherer fühlte, konnte George nicht frei reden. Aus diesem Grund entschloss er sich wohl, Hofmannsthal den Brief zu übergeben, den er ihm am Vortag angekündigt, dann aber zurückgehalten hatte. Salten war von Hofmannsthal instruiert worden, beizeiten zum Aufbruch zu drängen.
    Der Zufall wollte es, dass sich George und Hofmannsthal am Abend ein weiteres Mal begegneten. »War es meine schuld dass Sie
gerade in jenes unglückl. cafe kamen am sonntag?«, fragte George. Beide müssen sich in dem Moment, da Hofmannsthal das Café betrat, gleichsam ertappt gefühlt haben: Hofmannsthal, weil er sich mit Saltens Hilfe ein Alibi für den Abend verschafft hatte, das nun aufgeflogen war, George, weil er annehmen musste, dass Hofmannsthal inzwischen den Brief gelesen hatte. Die Begegnung war für beide peinlich, die Stimmung gereizt. Hofmannsthal erinnerte sich später, George habe einen schönen Hund, der an ihren Tisch kam und sich zutraulich an Georges Bein rieb, mit einem brutalen Tritt verjagt: »Va-t-en, sale voyou!« Über den Brief schwieg man sich offenbar aus. 23
    George hatte den Brief den ganzen Samstag mit sich herumgetragen. Als er gegen Mittag bei Hofmannsthal vorbeiging, um einige Bücher abzugeben – seinen ersten Gedichtband Hymnen in einem frischen Exemplar, die zu Weihnachten vom Drucker aus Lüttich eingetroffenen Pilgerfahrten und andere Schriften 24 -, erwähnte er ihn sogar auf der Karte, die er beilegte: »Einen brief den das wesen x in mir abfertigte unterschlug das wesen y, denn wozu?« Am nächsten Tag im Café

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