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Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Titel: Stefan George - Karlauf, T: Stefan George Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Karlauf
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seiner Not griff er zu einem Drohmittel, von dem er irrigerweise annahm, es werde Hofmannsthal zum Einlenken bewegen. »Ich muss Sie sofort sprechen: spielen Sie nicht übermütig mit dem leben«, lautete der letzte Satz des Briefes.
    Das Duell als ultima ratio. George hatte sich zu diesem Schritt entschlossen und den Brief auf den Weg gebracht. In dem langen schmalen Flur im ersten Stock der Salesianergasse wartete der Dienstmann, wie befohlen, auf Antwort. Hofmannsthal schrieb zwei Billette. Das eine an George, mit dem er, wie dieser trocken vermerkte, gesellschaftlich Genüge tat – »verzeihen Sie meinen Nerven und einer großen Aufregung jede begangene Unart«. Das andere, sehr viel aufschlussreichere an Hermann Bahr: »Lieber Freund! Der Herr George kommt unaufhörlich in meine Wohnung und schreibt mir Drohbriefe.
Meine Eltern sind sehr geängstet. Ich kann mich doch als Gymnasiast nicht mit einem Verrückten schlagen. Bitte kommen Sie sobald als möglich zu mir!« 33
    Auch dieses Billett wurde durch einen Boten überbracht. Bahr war jedoch nicht zu Hause. Daraufhin setzte Hofmannsthal seinen Vater über die jüngste Entwicklung in Kenntnis, und schon kurz darauf konnte er Bahr in einem weiteren Billett mitteilen, »dass Papa die unangenehme Geschichte selbst in die Hand genommen hat«. Der machte nicht viel Umstände. In gehobener Position bei der Oesterreichischen Central-Boden-Credit-Bank tätig, wusste er, wie die nötige Distinktion, der erforderliche Abstand wiederherzustellen war:
    Euer Wohlgeboren! Mein Sohn hat mir über die unerquickliche Gestaltung seiner Beziehungen zu Ihnen Mitteilung gemacht. Ich bedaure einerseits die seiner Jugend u. Unerfahrenheit zuzuschreibende Art, auf welche er dieselben zu lösen gesucht hat, muss aber andererseits die bestimmte Bitte an Sie richten den Verkehr mit ihm nicht erzwingen zu wollen. Ich bin vollkommen bereit Ihnen die Gründe, welche mich zu dieser Bitte veranlassen und die nichts Verletzendes für Sie enthalten, mündlich auseinanderzusetzen, falls Sie darauf bestehen; da ich, als Geschäftsmann, nicht genug Herr meiner Zeit bin, würde ich Sie in diesem Fall bitten an einem der nächsten Tage in meinem Bureau... vorzusprechen. 34
    George hatte überzogen. Zwei Tage später verließ er Wien. Zwar traf er sich noch mit dem Vater Hofmannsthal, der ihn seines Wohlwollens versicherte. Aber zu der sehnlichst herbeigewünschten Versöhnung mit Hugo selber – »keine auf zwanzig schritt sondern eine aug in aug« – kam es nicht mehr. Es war nun einmal der Wurm drin, oder, wie der Hofmannsthal-Herausgeber Herbert Steiner 1941 aus Anlass des Erscheinens des Briefwechsels zwischen beiden schrieb: »Die Katastrophe dieser Beziehung hatte sich in ihrem ersten Akt abgespielt.« 35
    Obwohl George und Hofmannsthal sich später nur noch wenige Male begegneten, kamen sie nicht mehr los voneinander. In einem quälenden, sich über 14 Jahre hinschleppenden, mehrfach abgebrochenen und wieder neu aufgenommenen Briefwechsel setzte sich die
Tragödie fort, die zum Jahreswechsel 1891/92 begonnen hatte. Weil beide die offene Aussprache über das, was damals geschehen war, scheuten, eskalierte ihre Korrespondenz immer wieder im Streit um Nebensächlichkeiten. Eine in ihrer Wirkung auf den anderen nicht genügend bedachte Formulierung, eine etwas zu nachdrücklich vorgetragene Bitte, ein beiläufiges Urteil über Dritte: Der geringste Anlass genügte, die gegenseitigen Irritationen sofort wieder in voller Schärfe aufbrechen zu lassen.
    Die Konstellation blieb dabei stets die gleiche. George forderte und drängte, Hofmannsthal wich aus. Da George sich hütete, jemals wieder so offen und direkt um ihn zu werben wie im Januar 1892, sah Hofmannsthal seinerseits keine Notwendigkeit, ihn noch einmal so unmissverständlich wie damals zurückzuweisen. Weil ihr Verhältnis dem Schein nach in der Schwebe gehalten wurde, stieg die Anspannung im Lauf der Jahre ins Unerträgliche. »Das Übergewicht des Ungesagten über das Gesagte in diesen Briefen ist ein ungeheuerliches«, schrieb Richard Alewyn 1949. »Gibt es noch einen Briefwechsel, in dem so viele Fragen so wenige Antworten enthalten, wie die vielen ausdrücklichen Fragen Hofmannsthals an George, oder die eine ständige, stumme Frage Georges an Hofmannsthal?« 36
    Eines stand allerdings von Anfang an außer Zweifel: dass Hofmannsthal der bedeutendste Dichter war, dem George in seinem Leben begegnete – und umgekehrt. In Hofmannsthals

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