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Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Titel: Stefan George - Karlauf, T: Stefan George Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Karlauf
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ahnen – ein zucken – ein schwanken – o mein zwillingsbruder- 28
    Hofmannsthal war verwirrter, als seine Antwort vom gleichen Abend vermuten ließ. George nannte sie »diplomatisch«. Hofmannsthal verwahrte sich darin gegen jeden Ausschließlichkeitsanspruch – »mein Wesen giesst den Wein seines jungen Lebens aus … wer nehmen kann, nimmt« -, gab sich zuversichtlich, dass George auch allein aus seiner gegenwärtigen Krise herausfinden werde, und offenbarte im letzten Satz des Briefes die ganze Ambivalenz seines Verhältnisses zu dem Älteren: » Ich kann auch das lieben, was mich ängstet.«
    Eindeutiger bekannte sich Hofmannsthal am nächsten Tag. In einem unmittelbar durch Georges Gedicht »Der Infant« angeregten »Prolog«, der später dem Tod des Tizian vorangestellt wurde, tritt ein Page die Schlosstreppe herunter und bleibt vor dem Bild des Infanten stehen, der ihm, »jung und blass und frühverstorben«, ähnlich sein soll:
    So träum ich dann, ich wäre der Infant …
Und aus dem Erker tritt mein Freund, der Dichter.
Und küsst mich seltsam lächelnd auf die Stirn
Und sagt, und beinah ernst ist seine Stimme:
»Schauspieler deiner selbstgeschaffnen Träume,
Ich weiss, mein Freund, dass sie dich Lügner nennen
Und dich verachten, die dich nicht verstehen,
Ich aber liebe dich, o mein Zwillingsbruder.« 29
    Als Hofmannsthal den »Prolog« noch am gleichen Abend in Reinschrift übertrug, änderte er die letzte Zeile in: »Doch ich versteh dich, o mein Zwillingsbruder.« Der »Prolog« wie auch der am nächsten Tag in Angriff genommene Tod des Tizian selbst boten später Anlass zu vielfältigen Spekulationen, wen Hofmannsthal hier in welcher Maske auftreten ließ. 30 Mit Sicherheit war seine Adaption von Georges »Infant« über alle dichterischen Spiegelungen hinweg eine Antwort auf dessen Liebesbekenntnis vom Vortag.
    In der Realität gestaltete sich alles ein wenig schwieriger, denn George ließ nicht locker. »Wie lange noch das versteckspiel?«, fragte er am Dienstag und machte den Vorschlag, sich »auf neutralem gebiet« zu treffen, zum Beispiel auf der Straße, »Kärnthnerring (Stadtseite)«. Hofmannsthals Angst, George auch nur zufällig über den Weg zu laufen, ging unterdessen so weit, dass er es sogar vermied, sich mit Freunden im Café zu verabreden, denn dort gehe »der Symbolist« um. 31 Georges Brief vom Dienstag ist der verzweifelte Ruf eines Werbenden, der mit Gewalt eine letzte Chance erzwingen will: Er brauche nur kurze Zeit, sich zu erklären, und wolle die Mühe, die er Hofmannsthal dadurch bereite, »so gering wie möglich« halten, alles solle ganz »nach Ihrem belieben« arrangiert werden.
    Hofmannsthal verlor die Nerven. Wenn sich dieser merkwürdig hartnäckige Verehrer durch Höflichkeiten nicht auf Distanz halten ließ, sondern im Gegenteil, jedes Sowohl-als-auch sofort als feiges Ausweichen interpretierte, dann mussten deutlichere Worte gefunden werden. Der Antwortbrief Hofmannsthals wurde vernichtet, wohl von George selbst, noch vor seiner Abreise aus Wien. Es dürfte in diesem Brief nicht um »Akademisches« gegangen sein, sondern um
Georges Zuneigung – »die Sie so schmählich auslegten«. Hofmannsthal war minderjährig, wohlerzogen und alles andere als naiv. Er wird sich gehütet haben, Vorwürfe zu fixieren, die ihm möglicherweise gerichtlichen Ärger hätten einbringen können. Und doch muss der Brief für George so beleidigend, so ehrabschneidend gewesen sein, dass er ein Duell – genau gesagt, die Androhung eines Duells – als einzigen Ausweg sah.
    Sich zu duellieren war in den neunziger Jahren des 19. Jahrhunderts in der k.u.k. Monarchie eine Sache von Offizieren und Angehörigen des Adels. In den mittelständischen ländlichen Kreisen, aus denen George stammte, war das Duell zur Wiederherstellung verloren geglaubter Ehre ganz und gar ungebräuchlich, in Bingen hätte man ihn ausgelacht. »Das ist die Sprache des Verfemten«, schrieb Adorno und zog den Schluss, »nichts als die Angst, in die Maschinerie der Sittlichkeit zu geraten, kann George dazu vermocht haben, sich einen Gentleman zu nennen.« 32 Aber hat er ein Duell wirklich ernsthaft in Betracht gezogen? Zweifellos fühlte er sich auf das Tiefste verletzt und wollte denjenigen, der ihm diese Schmach angetan hatte, zur Rede stellen. Dennoch dürfte er gewusst haben, dass es unmöglich war, sich mit einem Minderjährigen zu schlagen. George wollte sich nicht duellieren, George wollte erhört werden. In

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