Stefan Zweig - Gesammelte Werke
Lippen an den sanften Abendgruß im Elternhause. Mit einem Male, wundersam und kaum glaublich, fiel mir in den Armen der Dirne meines Vaters zerknüllter, zerstoßener, ungelesener Brief ein und mir war, als fühlte ich den Stoß des Gesellen in meiner blutenden Brust. Ich fuhr auf, so unvermittelt und blaß, daß mich die Dirne erschreckten Blickes befragte, was mir zugestoßen sei. Aber ich schämte mich meiner törichten Angst, und ich schämte mich dieses fremden Weibes, in dessen Bett ich gelegen und deren Schönheit ich genossen, ohne ihr den törichten Gedanken eines Augenblickes anvertrauen zu wollen. Aber in dieser Minute hat sich mein ganzes Leben gewandelt, und heut wie damals fühle ich, daß nur Gottes Gnade solches wirken kann. Ich warf ihr Geld hin, das sie widerwillig nahm, weil sie fürchtete, daß ich sie verachte, und nannte mich einen deutschen Narren. Ich aber hörte nicht mehr, sondern stürmte fort in die kalte Regennacht und schrie wie ein Verzweifelter in die dunklen Kanäle hinaus nach einer Gondel. Endlich kam eine, die sich ihre Fahrt mit Gold aufwiegen ließ, aber mein Herz pochte in einer so jähen, unbarmherzigen und unbegreiflichen Angst, daß ich an nichts anderes dachte als an den Brief, den mir ein Wunder so jählings wieder in Erinnerung gebracht. Als ich bei der Schenke angelangte, brach die Begierde nach diesen Zeilen aus wie ein zehrendes Fieber; ein Rasender stürmte ich jäh in die Schenke, ohne der freudig-erstaunten Rufe meiner Genossen zu achten, sprang auf einen gläserklirrenden Tisch, riß den Brief von der Wand und rannte weiter, ohne das tolle Hohnlachen und zornige Fluchen hinter mir zu beachten. An der nächsten Ecke entfaltete ich den Brief mit zitternden Händen. Der Regen strömte nieder vom verwölkten Himmel, und der Wind riß an dem Blatt in meiner Hand. Ich ließ aber nicht früher ab, als bis ich mit überquellenden Augen alles entziffert hatte. Es waren nicht viel der Worte: meine Mutter sei zum Sterben krank, und ich möchte nach Hause kommen. Kein Wort des Tadels und Vorwurfs wie sonst. Aber wie brannte mein Herz in tiefster Scham, als ich sah, daß des Degens Klinge mitten durch meiner Mutter Namen gestoßen war…«
»Ein Wunder, ein offenbarliches Wunderzeichen, nicht allem Volke verständlich, aber wohl dem, für den es erstanden«, murmelte der Maler, als der Erzähler tiefbewegt in Schweigen versunken war. Eine Zeitlang gingen sie wieder wortlos nebeneinander her. Fernüber leuchtete schon das prächtige Haus des Kaufherrn ihnen entgegen. Als der Kaufherr aufblickend es bemerkte, fuhr er hastig fort.
»Laßt mich kurz sein, laßt mich Euch verschweigen, in welchem Schmerz und reuevollem Wahnsinn ich diese Nacht verlebte. Laßt Euch nur sagen, daß mich der nächste Morgen knieend auf den Stufen der Markuskirche fand, wo ich in brünstigem Gebete der Muttergottes einen Altar gelobte, wenn sie mir vergönnen wollte, meiner Mutter Gruß und Verzeihung zu erlangen. Am selben Tage reiste ich ab, reiste Stunden und Tage der Verzweiflung und Angst nach Antwerpen, stürmte wild und verzweifelt zu meiner Eltern Haus. Vor dem Tore stand meine Mutter, gealtert und blaß, doch wohlauf. Als sie mich sah, breitete sie mir jubelnd die Arme entgegen, und ich weinte vieler Tage Sorge und vieler vergeudeter Nächte Schmach an ihrem Herzen aus. Mein Leben ist seitdem ein anderes geworden, ich darf beinah sagen ein gutes. Das Liebste, das ich hatte, jenen Brief, habe ich eingesargt in den Grundstein dieses Hauses, das meiner Hände Arbeit geschaffen hat, und mein Gelübde habe ich zu lösen gesucht. Bald nach meiner Ankunft ließ ich den Altar errichten, den Ihr gesehn habt, und bot alle Mühe auf, ihn würdig zu schmücken. Da ich aber unbekannt war in den Geheimnissen, nach denen ihr Eure Kunst zu werten wißt und der Muttergottes ein würdiges Bild weihen wollte, so wie sie mir ihr Wunder geoffenbart, schrieb ich an einen treuen Freund nach Venedig, er möge mir den Tüchtigsten der Maler senden, den er kenne, daß er mir das Werk meines Herzens würdig vollende.
Monate vergingen. Eines Tages stand ein junger Mann vor meiner Tür, berief sich seiner Sendung und entbot mir Gruß und Brief meines Freundes. Der italienische Maler, dessen wunderbaren und seltsam traurigen Gesichtes ich mich noch wohl besinne, glich durchaus nicht den lärmenden und großsprecherischen Kumpanen meiner Venezianer Zechgelage. Eher hätte man ihn als Mönch empfangen, denn als Maler, weil
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