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Stefan Zweig - Gesammelte Werke

Stefan Zweig - Gesammelte Werke

Titel: Stefan Zweig - Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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Durchgängigkeit dieser subkutanen, gleichsam unter der Haut fließenden Unterströmungen der Erzählung zu empfinden, versuche man zur Probe einen Roman Dostojewskis in einer der gekürzten französischen Ausgaben zu lesen. Es fehlt anscheinend nichts darin: der Film der Geschehnisse rollt geschwinder ab, die Figuren erscheinen sogar agiler, geschlossener, leidenschaftlicher. Aber doch, sie sind irgendwo verarmt, ihrer Seele fehlt jener wunderbare irisierende Glanz, ihrer Atmosphäre die funkelnde Elektrizität, jene Schwüle der Spannung, die erst die Entladung so furchtbar und so wohltätig macht. Irgend etwas ist zerstört, das nicht wieder zu ersetzen ist, ein Zauberkreis gebrochen. Und gerade aus diesen Versuchen von Kürzungen und Dramatisierung erkennt man den Sinn der Breite bei Dostojewski, die Zweckhaftigkeit seiner scheinbaren Weitschweifigkeit. Denn die kleinen, flüchtigen, gelegentlichen Andeutungen, die ganz zufällig und überflüssig scheinen, sie haben Erwiderung hundert und hundert Seiten später. Unter der Oberfläche der Erzählung laufen solche Leitungen verborgener Kontakte, die Meldungen weitertragen, geheimnisvolle Reflexe tauschen. Es gibt bei ihm seelische Chiffrierungen, ganz winzige physische und psychische Zeichen, deren Sinn erst beim zweiten, beim dritten Lesen offenbar wird. Kein Epiker hat ein gleichsam so durchnervtes System des Erzählens, ein so unterirdisches Gewirr der Begebenheit unter dem Knochenwerk des Geschehnisses, unter der Haut des Dialogs. Und doch, System kann man es kaum nennen: nur mit der scheinbaren Willkürlichkeit und doch geheimnisvollen Ordnung des Menschen selbst läßt sich dieser psychologische Prozeß vergleichen. Während die anderen epischen Künstler, insbesondere Goethe, mehr die Natur als den Menschen nachzuahmen scheinen und das Geschehnis organisch wie eine Pflanze, bildhaft wie eine Landschaft genießen lassen, erlebt man einen Roman Dostojewskis wie die Begegnung mit einem sonderbar tiefen und leidenschaftlichen Menschen. Dostojewskis Kunstwerk ist urirdisch bei aller Ewigkeit, unberechenbar und unergründbar, wie die Seele es in den Grenzen ihrer Körperlichkeit ist, und unvergleichbar innerhalb der Formen der Kunst.
    Damit soll keineswegs gesagt sein, daß diese Romane an sich alle vollendete Kunstwerke wären, ja sie sind es viel weniger als manche ärmere Werke, die engere Kreise ziehen und sich mit Schlichterem bescheiden. Der Maßlose kann das Ewige erreichen, aber nicht nachbilden. Aber diese Ungeduld Dostojewskis, sie führt von der Tragödie seiner Kunst in die seines Lebens zurück. Denn dies war äußeres Schicksal und nicht innere Leichtfertigkeit bei ihm ebenso wie bei Balzac, daß er getrieben war vom Leben zur Eiligkeit und zu sehr gehetzt, um die Werke vollendet zu gestalten. Man vergesse nicht, wie diese Werke entstanden sind. Immer war schon der ganze Roman verkauft, während Dostojewski noch das erste Kapitel schrieb, jede Arbeit eine Hetzjagd von Vorschuß zu neuem Vorschuß. »Wie ein alter Postgaul« arbeitend, auf der Flucht durch die Welt, fehlt es ihm manchmal an Zeit und Ruhe, die letzte Feile anzulegen, und er weiß es selbst, der Wissendste aller, und empfindet es wie Schuld! »Mögen sie doch sehen, in welchem Zustande ich arbeite. Sie verlangen von mir schlackenlose Meisterwerke, und aus bitterster, elendster Not bin ich zur Eile gezwungen«, schreit er erbittert auf. Er flucht Tolstoi und Turgenjew, die, gemächlich auf ihren Gütern sitzend, die Zeilen runden und ordnen können, und denen er um nichts sonst neidisch ist. Keine Armut scheut er persönlich, aber der Künstler, erniedrigt zum Proletarier der Arbeit, schäumt gegen die »Gutsherrnliteratur« aus der unbändigen Sehnsucht des Artisten, einmal in Ruhe, einmal in Vollendung gestalten zu können. Jeden Fehler in seinen Werken kennt er, er weiß, daß nach seinen epileptischen Anfällen die Spannung nachläßt, die straffe Hülle des Kunstwerks gleichsam undicht wird und Gleichgültiges einströmen läßt. Oft müssen ihn Freunde oder seine Frau auf grobe Vergeßlichkeiten aufmerksam machen, die er in jener Verdunklung der Sinne nach dem Anfall begeht, wenn er die Manuskripte liest. Dieser Proletarier, dieser Taglöhner der Arbeit, dieser Sklave des Vorschusses, der in der Zeit seiner ärgsten Not drei gigantische Romane hintereinander schreibt, ist innerlich der bewußteste Artist. Er liebt fanatisch die Goldschmiedearbeit, das Filigran der Vollendung. Noch

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