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Stefan Zweig - Gesammelte Werke

Stefan Zweig - Gesammelte Werke

Titel: Stefan Zweig - Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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der Pyramiden riesige Fundamente, sind für die spitzen Höhepunkte bei Dostojewski die gewaltigen Dimensionen seiner Romane notwendig. Und wirklich, wie die Wolga, der Dnjepr, die großen Ströme seiner Heimat, rollen diese Romane dahin. Etwas Stromhaftes ist ihnen allen zu eigen, langsam wogend rollen sie ungeheure Mengen des Lebens heran. Auf ihren tausenden und tausenden Seiten schwemmen sie, gelegentlich die Ufer des künstlerischen Gestaltens übertretend, viel politisches Geröll und polemisches Gestein mit sich fort. Manchmal, wo die Inspiration nachläßt, haben sie auch breite, sandige Stellen. Schon scheinen sie zu versiegen. In stockendem Lauf winden sich mühsam durch Krümmungen und Wirrungen die Geschehnisse weiter, die Flut stagniert an den Sandbänken der Gespräche für Stunden, bis sie wieder dann die eigene Tiefe und den Schwung ihrer Leidenschaft findet.
    Aber dann, in der Nähe des Meeres, der Unendlichkeit, kommen plötzlich jene unerhörten Stellen der Stromschnelle, wo sich die breite Erzählung zum Wirbel zusammenballt, die Seiten gleichsam fliegen, das Tempo beängstigend wird, die Seele mitgerissen in den Abgrund des Gefühls hinpfeilt. Schon fühlt man die nahe Tiefe, schon donnert der Wassersturz her, die ganze breite schwere Masse ist plötzlich in schäumende Geschwindigkeit verwandelt, und wie die Strömung der Erzählung, gleichsam magnetisch vom Katarakt angezogen, der Katharsis zuschäumt, so sausen wir selbst unwillkürlich rascher durch diese Seiten und stürzen dann plötzlich in den Abgrund des Geschehens, gleichsam mit zerschmetterten Gefühlen.
    Und dieses Gefühl, wo gleichsam die ungeheure Summe des Lebens in einer einzigen Ziffer gezogen ist, dieses Gefühl äußerster Konzentration, qualvoll und schwindlig zugleich, das er selbst einmal das »Turmgefühl« nennt – den göttlichen Wahnsinn, sich über die eigene Tiefe zu beugen und die Seligkeit des tödlichen Niedersturzes vorempfindend zu genießen –, dieses äußerste Gefühl, in dem man mit dem ganzen Leben auch noch den Tod empfindet, es ist immer auch die unsichtbare Spitze der großen epischen Pyramiden Dostojewskis. Alle Romane sind vielleicht nur geschrieben um dieser Augenblicke der weißglühenden Empfindung willen. Zwanzig oder dreißig solcher grandiosen Stellen hat Dostojewski geschaffen, und alle sind sie von so unvergleichlicher Vehemenz der leidenschaftlichen Zusammenballung, daß sie einem nicht nur beim ersten Lesen, da sie einen gleichsam noch wehrlos überfallen, sondern noch beim vierten oder fünften Wiederholen wie eine Stichflamme durch das Herz fahren. Immer sind in diesem Augenblick plötzlich alle Menschen des ganzen Buches in einem Zimmer versammelt, immer alle in der äußersten Intensität ihres Eigenwillens. Alle Straßen, alle Ströme, alle Kräfte laufen magisch zusammen, lösen sich auf in einer einzigen Geste, einer einzigen Gebärde, einem einzigen Wort. Ich erinnere nur an die Szene in den »Dämonen«, wo die Ohrfeige Schatows mit ihrem »trockenen Schlag« das Spinnweb des Geheimnisses zerreißt, wie im »Idioten« Nastassja Philipowna die 100.000 Rubel ins Feuer wirft, oder an die Geständnisszene in »Raskolnikow« und den »Karamasow«. In diesen höchsten, schon nicht mehr stofflichen, in diesen ganz elementaren Momenten seiner Kunst gattet sich restlos Architektur und Leidenschaft. Nur in der Ekstase ist Dostojewski der einheitliche Mensch, nur in diesen kurzen Augenblicken der vollendete Künstler. Aber diese Szenen sind rein künstlerisch ein Triumph der Kunst über den Menschen ohnegleichen, denn erst rücklesend wird man gewahr, mit einer wie genialen Berechnung alle Anstiege zu diesem Höhepunkte geführt sind, wie die ungeheure Gleichung, die tausendstellige und verschränkte, sich plötzlich auflöst in die kleinste Zahl, die letzte, restlose Einheit des Gefühls: die Ekstase. Das ist das größte künstlerische Geheimnis Dostojewskis, alle seine Romane zu solchen Spitzen hinaufzubauen, in denen sich die ganze elektrische Atmosphäre des Gefühls sammelt und die den Blitz des Schicksals mit unfehlbarer Sicherheit in sich auffangen.
    Muß noch besonders auf den Ursprung dieser einzigartigen Kunstform hingewiesen sein, die vor Dostojewski keiner besessen und vielleicht nie ein Künstler in gleichem Maße besitzen wird? Muß es noch gesagt sein, daß dieses Aufzucken der gesamten Lebenskräfte zu einzigen Sekunden nichts anderes ist, als in Kunst verwandelte,

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