Stephane Hessel - ein gluecklicher Rebell
und gezwungen, seine Kameraden in die Falle zu locken.
Auch Couture geriet in diese Falle – er war doch noch zum Bistro gekommen, etwas später, und hatte einen Ersatz-Quarz für ein Funkgerät dabei. Zu spät durchschaute er den Hinterhalt, flüchtete an der Friedhofsmauer entlang, warf den Quarz auf die andere Seite, wurde aber dennoch gestellt. Was mag er gedacht haben? Reden kann man nicht mehr in solchen Augenblicken. Was ab jetzt geredet wird, ist Teil eines blutigen Spiels. Schweigen wäre das Beste, aber das geht auch nicht. Was Reden heißt und was Schweigen, das wird Greco nun lernen. Jetzt kommen ganz andere Worte.
No longer mourn for me when I am dead
. Später wirdGreco den Vers auf einen Zettel schreiben und ihn in seine Jackentasche stecken. Vitia, seine Frau, wird eines Tages die Botschaft finden, stellt er sich vor, und sie wird es verstehen. Vitia ist in London, arbeitet in dem Büro des Nachrichtendienstes der Résistance, in dem auch er gearbeitet hat, ehe er sich im März auf die Mission Greco schicken ließ. Den Decknamen hatte er sich selbst ausgedacht. Anfang Juni waren die Alliierten in der Normandie gelandet, und wenn dort auch noch eine heftige Schlacht tobte, so war die Befreiung von Paris schon abzusehen. Die wollte er nicht versäumen. Nun wird er nicht dabei sein. Er hält es für sicher und denkt doch, dass dies ein schwerer Schicksalsfehler wäre, dass ein solches Ende nicht zu ihm passt. In der Kraft, die einen Menschen noch angesichts des Untergangs solche Dinge schreiben, sagen, memorieren lässt, steckt Freude, Liebe, Hoffnung:
No longer mourn for me when I am dead
… – es ist keine Totenklage, sondern eine Liebeserklärung über das Grab hinaus.
Der Rest des Sonetts 71 fällt ihm ein, als er Bekanntschaft mit seinen neuen Betreuern macht.
No longer mourn for me when I am dead
Then you shall hear the surly sullen bell
Give warning to the world that I am fled
From this vile world, with vilest worms to dwell –
Nur solange die Totenglocke erklingt, soll die geliebte Person um ihn trauern, wenn sie diese Zeilen erhält. Der Glockenton verkündet, dass er aus der bösen Welt zu noch böseren Würmern geflohen ist. Für Greco ist es keine Zuflucht, und es sind sehr schlimme Würmer, mit denen er zu tun bekommt. Wenngleich das Ambiente höchst stilvoll ist.Die breite Avenue Foch, eine der vornehmsten Straßen von Paris, führt vom Triumphbogen in südwestliche Richtung. Stadtvilla reiht sich hier an Stadtvilla. Sandsteinfassaden mit reichlich Zierrat. Hierher bringt ihn ein schwarzes Polizeiauto. Das Haus Nummer 84 gehört zum ersten Häuserblock am Südwestende der rechten Seite der Avenue Foch und ist deutlich niedriger als die beiden Nachbarhäuser. Zum runden Platz hin, der Porte Dauphine, sieht man einen zierlichen Pavillon, einen Métro-Eingang, den Hector Guimard im Art-déco-Stil gestaltet hat, mit grüngestrichenem Metall und Glas und Verzierungen in Baum- und Blattform.
Im Jahr 1944 residiert in diesem repräsentativen Block mit Sandsteinfassaden und Marmortreppen der Sicherheitsdienst der Besatzungsmacht (SD), der sich um die Abwehr gegnerischer Agenten kümmert. Der SD hat auch die Nachbarhäuser 82 und 86 requiriert, aber die Nummer 84 ist der Ort für die Sonderverhöre von Angehörigen der British Special Operation Executive (SOE), die im besetzten Frankreich agieren, unter ihnen viele Kanadier. Da Greco aus England geschickt wurde, brachte man ihn hierher. Ob er wirklich Greco ist (den Namen wissen sie wohl von Bambou), müssen sie erst noch herausfinden. Noch streitet er es ab.
Im zweiten Stock der Nummer 84 arbeiten Josef Goetz und seine Funkabteilung; sie nutzen Sendefrequenzen des Widerstands, um falsche Botschaften zu übermitteln und den Gegner zu verwirren. Die deutsche Funkabwehr besitzt sehr effektive, stark miniaturisierte Ortungsgeräte, es ist ihnen gelungen, in einige Funknetze der Résistance wie der britischen Agenten einzubrechen. Oft verhaften sie die Funker separat, bringen sie unter Einsatz der Folter zu Geständnissen und zum Verrat von Kameraden.
Im dritten Stock haust SS-Sturmbannführer Josef Kieffer, Spezialist für verschärfte Verhöre, ganz oben im fünftenStock liegen die Verhörkammern und Zellen für die Gefangenen. Hier hat auch Ernest Vogt ein kleines Zimmer, ein Deutschschweizer, der als Übersetzer bei den Verhören dient.
Grecos Verhaftung bedeutet große Gefahr für die anderen Widerstandskämpfer. Von London
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