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Sterblich

Sterblich

Titel: Sterblich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Enger
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macht vor nicht laufender Kamera einen Probe-Stand-up.
    »Es ist aber schon merkwürdig, dass Stefan nackt war, oder?«, sagt Henning, als der Journalist fertig ist. Brogeland dreht sich zu ihm um.
    »Hm?«
    »Wieso war er nackt, was glaubst du?«
    »Na ja, ich weiß auch nicht so genau. Er hatte ja einen Hang zu Symbolik. Vielleicht war das seine Art zu sagen, dass sich jetzt der Kreis schließt.«
    »Du meinst, nackt geboren, nackt gestorben, so was in der Art?«
    »Ja.«
    Natürlich kann das der Grund sein.
    »Aber woher wusste Stefan, dass Henriette an dem Abend in dem Zelt sein würde? Gab es irgendeine Form von Handykontakt zwischen den beiden?«
    »Nicht, soweit ich informiert bin, aber ich gehe nicht davon aus.«
    »Woher wusste er es dann?«
    Brogeland bleibt stehen und denkt nach.
    »Vielleicht hatten sie eine mündliche Verabredung, was weiß ich.«
    »Worüber? Stefan hatte doch nichts mit dem Film zu tun.«
    »Ich weiß auch nicht. Keine Ahnung. Irgendwie muss er an die Information gekommen sein. Aber das werden wir wohl nie erfahren.«
    Henning nickt still. Die Frage bedrückt ihn. Er mag keine Puzzles, bei denen Teile fehlen, weil er immer an den gähnenden Löchern hängen bleibt.
    »Was für ein Neuanfang für dich«, sagt Brogeland, nachdem sie noch ein paar Meter scheinbar ziellos hinter sich gelegt haben.
    »Wie meinst du das?«
    »Na, dieser Fall. Aber das liegt dir, nicht wahr? Du ziehst deine Sachen gern alleine durch, stimmt’s?«
    Henning sieht Brogeland an und fragt sich, woher der plötzliche Wechsel im Ton rührt.
    »Denkst du an was Spezielles?«
    »Gjerstad hat mir von den Nigerianerinnen erzählt«, sagt Brogeland und dreht sich zu Henning um. Sein Lächeln ist verschwunden. »Gjerstad hat von dem Artikel gesprochen, den du geschrieben hast, dem Interview, das du mit dem Täter geführt hast.«
    Henning nickt und lächelt. Dieser Gjerstad.
    »Hat Gjerstad dir auch die ganze Geschichte erzählt?«
    Er wartet Brogelands Reaktion ab. Sie kommt nicht.
    »Hat er auch gesagt, dass ich das Interview geführt habe und dem Typen zu der Publizität verholfen habe, die er sich gewünscht hat – aber unter einer Bedingung?«
    Kunstpause.
    »Welche Bedingung?«
    »Dass er aufhört, diese Frauen zu töten oder überhaupt einen Menschen. Es ist utopisch zu glauben, dass die Polizei in der Lage wäre, mit der Prostitution in Oslo aufzuräumen. Da kann man genauso gut Kindern vorschlagen, keine Süßigkeiten mehr zu essen. Es ist nicht zufällig das älteste Gewerbe der Welt. Hat Gjerstad dir gesagt, wie viele Frauen der Mann getötet hat?«
    Brogeland antwortet nicht.
    »Hab ich’s mir doch gedacht. Ganz davon abgesehen, hätte ich ihn gar nicht der Polizei ausliefern können, weil ich ihn nie getroffen habe. Wir haben zweimal miteinander telefoniert, und beide Male hat er mich angerufen. Ich habe mir nicht die Mühe gemacht herauszufinden, von wo aus er angerufen hat, weil ich mir sicher war, dass mich das nicht weitergebracht hätte. Außerdem wurde er wenige Monate später geschnappt. Wegen etwas anderem.«
    Henning sieht Arild Gjerstad vor sich und erinnert sich an die zahlreichen Auseinandersetzungen, die sie hatten, und an die unverhohlene Antipathie und Unzufriedenheit, die aus seinen Augen spricht, wenn er Henning sieht. Ich mag ja Vorurteile haben, denkt er, aber verglichen mit Gjerstad bin ich ein Waisenknabe.
    »Okay, ich …«
    »Vergiss es.«
    »Aber ich …«
    »Gjerstad kann Journalisten nicht leiden, Bjarne, und ich glaube, mich am allerwenigsten von allen. So ist es eben.«
    »Nein, aber ich …«
    »Lass es. Es ist nicht wichtig.«
    Brogeland bleibt stehen und sieht ihn an. Dann nickt er, stumm.

67
    Als Henning eine Stunde später in die Redaktion kommt, merkt er unmittelbar, dass die Stimmung anders ist. Okay, es ist Freitag, und Freitage haben ihre eigene Atmosphäre, aber das hier ist Kaffee mit Schuss und Crème brulée auf einmal. Er sieht es den Leuten an, hört es an ihrem entspannten Lachen, sieht es an dem unangestrengten Gang einer Frau, die ihm auf der Treppe entgegenkommt.
    Er biegt von dem schmalen Korridor um die Küchenecke, wo die Kaffeemaschine steht, die heute merkwürdig verwaist ist. Es ist kurz nach drei. Ein Großteil der Leute ist noch bei der Arbeit. Kåre Hjeltland hängt wie gewohnt über der Schulter eines Desk-Journalisten.
    »Henning!«, ruft er, als ihre Blicke sich begegnen. Er murmelt dem Desk-Journalisten etwas zu und kommt eilig in die

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