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Sterblich

Sterblich

Titel: Sterblich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Enger
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bringen, wer sie war und warum jemand sie mit einer Stun Gun betäubt und ihr dann Steine an den Kopf geworfen hat, bis sie starb.«
    Er ist zufrieden mit seiner eigenen Formulierung, bis ihm klar wird, was er gerade gesagt hat.
    »Stun Gun?«
    Gundersen sieht ihn an. Henning flucht innerlich. Er sagt: »Hm?«
    Ein schlechter Versuch, sich Zeit zu verschaffen.
    »Ich kann mich nicht daran erinnern, irgendwo etwas von einer Stun Gun gelesen zu haben?«
    Henning sagt nichts, spürt aber die Blicke der beiden wie Nadelstiche. Seine Wangen glühen.
    »Woher hast du das, Henning?«, fragt Heidi.
    »Ich meine, irgendwo was von einer Stun Gun gehört zu haben«, sagt er und merkt selbst, wie hanebüchen seine Erklärung daherkommt. Er sieht den beiden an, dass sie ihm nicht glauben, sagt aber nichts. Sie starren ihn an.
    Schaumberge an salzigen Schären können dir jetzt auch nicht helfen, Henning. Er hört sich selbst Luft holen. Dann sagt er: »Sind wir dann fertig?«
    Er sieht sie nicht an, steht auf und weicht ihren Blicken aus, als er zur Tür geht. Er rechnet jeden Augenblick damit, von Heidis scharfer Stimme zurück an seinen Platz beordert zu werden, aber er erreicht die Tür, ohne dass etwas geschieht, drückt die Klinke nach unten und geht nach draußen.
    Die Stille, die er hinter sich lässt, ist wie ein Flugzeugabsturz im Kopf. Er kann sich lebhaft vorstellen, was Gundersen und Heidi jetzt über ihn sagen. Aber das spielt keine Rolle.
    Er ist einfach nur froh, draußen zu sein.

23
    Henning geht auf die Grønlands gata, bevor Heidi und Gundersen mit der Besprechung fertig sind. Draußen ist es deutlich wärmer geworden, seit er in die Redaktion gekommen ist. Es ist schwül. Er sieht nach oben. Grauweiße Wolken fegen über den Himmel. Es ist kurz vor neun. Tariq Marhoni ist bestimmt noch nicht auf.
    Im Internet konnte Henning nichts Interessantes über ihn finden. Tariq ist Mitte der Neunzigerjahre aus Islamabad in Pakistan nach Norwegen gekommen, sein Bruder schon ein paar Jahre vorher. Gemeinsam haben sie an drei verschiedenen Adressen gewohnt. Während Mahmoud in keinem Zeitungsartikel, keinem Chatforum, keiner Homepage und auch auf keiner Steuerliste auftaucht, ist Tariq bei einer Meinungsumfrage der VG vor ein paar Jahren aufgenommen worden, in der es um die Frage ging, ob man für oder gegen die EU sei.
    Tariq hat sich selbst in der Rubrik »weiß nicht« platziert. Das ist im Grunde genommen das Einzige, was Henning über ihn weiß. Die Brüder Marhoni haben sich im wahrsten Sinne des Wortes unauffällig benommen, Henning ist aber lang genug dabei, um zu wissen, dass das nicht unbedingt etwas bedeuten muss. In jedem Fall ist Tariq vermutlich der Einzige, der etwas Qualifiziertes über seinen Bruder sagen kann, und der ist bisher schließlich der Einzige, der den Stempel »Schuldig« auf die Stirn gedrückt bekommen hat. Genau deshalb muss Henning so viel wie möglich über ihn herausfinden.
    Kurz nach neun bricht er zu Tariq auf. Sollte Marhoni nicht antworten, weil es ihm zu früh oder er nicht zu Hause ist, kann Henning immer noch in ein Café gehen und einen Happen essen.
    Als er am Präsidium in der Oslogaten vorbeigeht, fällt ihm ein Mann auf, der mit einer Warnweste bekleidet den Rasen mäht. Autos brausen hin und her. Er geht in Richtung Mittelalterpark. In diesem Stadtteil ist in den letzten Jahren wirklich viel passiert, sie haben die Fassaden renoviert und die Gegend durch ganz neue Wohnungsbauprojekte attraktiver gemacht. Bjørvika ist nur wenige Hundert Meter entfernt, sodass man ohne Staublunge in zehn Minuten an der Oper ist.
    Ehe er das Haus mit der Nummer 37 findet, stellt er das Handy auf Vibrationsalarm. Viel zu viele Interviews sind schon wegen des schrillen Klingelns des Telefons unterbrochen worden, sodass am Ende nichts herauskam.
    Die Tür zum Hinterhof steht offen. Er geht hinein. Im Durchgang zwischen Innenhof und Ausgang ist es dunkel. Er begegnet niemandem. Aus einem der Fenster hört er orientalische Musik. In der gleichen Wohnung wird laut diskutiert. Es riecht süßlich.
    Er geht zum Aufgang B, wo die Brüder Marhoni wohnen. Als er auf den Klingelknopf mit der Aufschrift Marhoni drücken will, geht die Tür auf. Ein Mann mit einem rötlichen Bart kommt heraus. Er scheint Henning nicht zu sehen und lässt die Tür auf, sodass Henning hineingehen kann, ehe die Tür sich wieder schließt.
    Drinnen riecht es intensiv nach Gewürzen. Seine Hüfte schmerzt, als er die Treppe nach

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