Sterne über Sansibar - Vosseler, N: Sterne über Sansibar - Die diamantene Zisterne
zur Schau. Minarettgleiche Palmen nickten sacht auf die Walmdächer aus Schilfrohr hinab und beschattetendie weitläufigen Dachterrassen, die Pavillons und die Balkone aus Holz.
Großzügig verteilten sich die verschachtelten Häuser um die weite Freifläche in der Mitte, die mehr einem verwilderten Garten ähnelte denn einem wirklichen Innenhof. Beit il Mtoni glich einer kleinen Stadt, und genauso lebhaft ging es dort auch zu. Von der Früh bis in die Nacht mussten sich alle Hände für die Familie des Sultans regen, und so wimmelte es überall von Menschen. Arabische Tracht mischte sich mit afrikanischer; gemeinsam war ihnen die Farbenpracht: Sittichgrün und Smaragd, Koralle und Mohnrot, Dottergelb, Lilienweiß und Pfauenblau, das Rostbraun und satte Schwarz der Erde Sansibars, oftmals in Mustern, in denen die Fröhlichkeit der Menschen eingefangen schien. Hier war Salima geboren worden, und aus Beit il Mtoni und seiner unmittelbaren Umgebung bestand ihre ganze kleine Welt.
Umso aufgeregter begann sie hoch zu Ross herumzuzappeln, als Majid seine Stute nicht wie erwartet zum Strand hinlenkte, der sich vor dem Palast erstreckte und von dem aus man an klaren Tagen die hügelige Küstenlinie Afrikas sehen konnte, sondern in die entgegengesetzte Richtung, ins verwucherte Innere der Insel hinein.
Erst als sie sich neugierig umsah, bemerkte sie, dass ihnen niemand folgte. Kein Leibdiener zu Pferd, kein Sklave zu Fuß. Ganz allein ritten sie in den Wald hinein, der sie grünschattig umfing.
»Kommt denn niemand mit uns?« Ihr Erstaunen hatte ihr Stimmchen zu einem Flüstern gedämpft.
»Ich bin auch abgehauen«, erwiderte Majid ebenfalls im Flüsterton und zupfte sie an einem ihrer Zöpfchen. »Ich hab doch dich dabei, du wirst schon auf mich achtgeben!«
Salima rang sich ein schiefes Lächeln ab, halb freudiger Stolz, halb Angst. Denn Majid war krank. Sehr krank. VonZeit zu Zeit stürzte er besinnungslos zu Boden und wurde von heftigen Krämpfen geschüttelt, bis sich die Augen so weit verdrehten, dass nur noch das Weiße zu sehen war. Als habe ein djinn , ein Dämon, von ihm Besitz ergriffen, der ihn erst nach einer gewissen Spanne wieder aus seinen Fängen ließ. Wenn Majid dann zu sich kam, konnte er sich an nichts erinnern; er fühlte sich nur schwach und benommen und musste sich ausruhen. Vor allem dem Vater war dies eine große Sorge, sollte Majid ihm doch eines fernen Tages als Herrscher über Sansibar nachfolgen. Deshalb hatte er verfügt, dass Majid niemals allein gelassen werden dürfe. Wohin er auch ging, was er auch tat – mindestens ein Sklave musste Majid Tag und Nacht begleiten wie ein Schatten, um bei einem neuerlichen Anfall zur Stelle zu sein und zu verhindern, dass Majid sich den Kopf zerschlug oder an seiner eigenen Zunge erstickte. Doch was sollte sie, Salima, in diesem Falle ausrichten können, klein, wie sie war? Hier, im dichten Wald, durch den sie sich immer weiter von Beit il Mtoni entfernten?
Er musste ihren furchtsamen Blick aufgefangen haben, denn er stieß sie mit der Innenseite des Ellenbogens an und setzte hinzu: »Hab keine Angst, Salima. Ich hatte schon eine ganze Zeit keinen Anfall mehr. Mir geht es gut, ich fühle mich stark und gesund.«
Was Salima kaum beruhigte; das unbehagliche Gefühl in ihrer Magengrube blieb. Jedoch nicht lange – dazu gab es viel zu viel Spannendes zu sehen und zu entdecken. Die schwarzweißen Stummelaffen mit ihrem roten Rücken und dem roten Käppchen turnten keifend im Geäst über ihr herum und vertrieben mit ihren lustigen Kapriolen Angst und Sorge aus Salimas Kopf. Irgendwo bearbeitete ein Vogel mit seinem Schnabel so emsig einen Stamm, dass das Klopfen weithin hallte. Ein anderer kreischte laut, und ein dritter keckertemunter vor sich hin. Salima sperrte die Augen auf, so weit sie konnte, um einen Blick auf das gefleckte Fell eines Leoparden zu erhaschen oder vielleicht auf ein Chamäleon, das geschickt getarnt im Blattwerk vor sich hin döste.
Schmal war der ansteigende Pfad durch das Dickicht aus palmenähnlichen Pandanen, Mangobäumen, wilden Kaffeestauden und Pfeffersträuchern, aus hohen Gräsern und wild emporschießendem Gestrüpp. Nur dann und wann tauchte eine einsame Hütte auf. Dem vielen Regen – zu bestimmten Zeiten im Jahr oft tagelang – und noch mehr Sonne war es zu verdanken, dass Sansibar so saftig begrünt war. Was auch immer man der Erde anvertraute, schlug sofort Wurzeln, wuchs rasch und stark und trug reichlich
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