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Sterne über Sansibar - Vosseler, N: Sterne über Sansibar - Die diamantene Zisterne

Sterne über Sansibar - Vosseler, N: Sterne über Sansibar - Die diamantene Zisterne

Titel: Sterne über Sansibar - Vosseler, N: Sterne über Sansibar - Die diamantene Zisterne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole C. Vosseler
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etwas sagen – sorgt euch nicht, ich leide keine allzu großen Schmerzen, lebt wohl – , doch es gelang ihr nicht mehr. Das Fieber hatte sie bereits zu weit fortgetragen, in ein Reich jenseits von Zeit und Raum.
    Stimmt das , hörte sie unter dem Trappeln von Kinderschuhen ein Stimmchen rufen, kieksig vor Aufregung. Stimmt es, was die anderen Kinder sagen? Und ein zweites, ein drittes bat atemlos: Erzähl, Mutter, erzähl!
    Sie hatte es ihnen erzählt, wieder und wieder, das Märchen, das ihr Leben einmal gewesen war. Wenn sie selbst es auch nie als ein Märchen empfand, bis heute nicht.
    Manches davon hatte sie niedergeschrieben. Erlebtes, Empfundenes und Gedachtes. Gehörtes und Gelesenes, sich zu eigen gemacht. Niedergeschrieben für ihre Kinder, für die Welt, für sich selbst. Und doch war es längst nicht alles gewesen; so vieles, was ungesagt blieb.
    Worte, nichts als Worte. Wie konnten Worte auch nur annähernd vermitteln, was hinter ihr lag? Noch dazu in einer Sprache, in der sie zwar denken und träumen gelernt hatte, die ihr aber immer fremd geblieben war. Umso mehr, als es Dinge gab in einem Menschenleben, die sich nur unvollkommen in Worte fassen ließen. In jeder Sprache.
    Liebe. Einsamkeit. Der Tod geliebter Menschen. Sehnsucht. Heimweh.
    Zayn z’al barr, raunte es in ihr, schön ist dieses Land. Land der Schwarzen – Zanjbar. Sansibar. Laute wie das Hauchen des Meeres. Wie das Rauschen des Windes, wenn er durch diePalmwälder strich und ihre gefiederten Kronen aneinanderrieb. Ssschhh … ssschhh … ssschh … Aufwallend und abebbend und allgegenwärtig, mit jedem Atemzug. Tröstlich wie das Flüstern ihrer Mutter. Ssschhh.
    Unter den Klagelauten der Muezzins pulsierten die Trommeln Afrikas. Tha-dhung-gung. Tha-dhung. Der Herzschlag der Insel. Ihr eigener Herzschlag. Heimat. El-Watan. Nyumbani.
    Tränen rannen unter ihren geschlossenen Lidern hervor, brannten in den Furchen der alterstrockenen Haut. Nach Hause … Das Meer brandete in ihr auf und rief sie zu sich, lockend und beschwörend.
    Komm nach Hause, Salima. Komm, Salima, komm … Salima …
    Ssschh, Salima.
    Komm.

Erstes Buch

Salima
    1851 – 1859

Ein Zweiglein am Baume
    Von meinen Zweigen strömt das Nass, dessen Name Millionen Herzen höher schlagen lässt.
    AUS DEM OMAN
1
    »Salima! Wirst du wohl hierbleiben! Salima!! «
    Salimas bloße Füßchen prasselten in schnellem
    Lauf über den Steinboden. In ihren Armen und Beinen kribbelte es wohlig; ihr ganzer siebenjähriger Leib jauchzte vor Freude, dem Stillsitzen entronnen zu sein.
    »Salima!«
    Sie flitzte zwischen den verwitterten Säulen hindurch, hinein in das Gras, das noch feucht war vom morgendlichen Regenguss. Ihr Herz schlug im gleichen übersprudelnden Takt wie die Goldmünzen an den Enden der zahllosen Flechtzöpfchen, die aneinanderklimperten und munter über ihren Rücken tanzten. Leicht und hell schlug es wie die Glöckchen an den Säumen der schmalen Hosen und des knöchellangen Gewandes darüber. Du-kriegst-mich-nicht , sang es in ihr im Rhythmus ihres Atems, du-kriegst-mich-nicht .
    »Salima!« Die Stimme der Lehrerin hinter ihr kippte von zorniger Strenge in eine hilflose Klage. »Metle? Ralub …«
    Ein rascher Blick über die Schulter verriet ihr, dass ihre Halbschwester Metle sie auf ihren längeren Beinen schon fast eingeholt hatte, während deren Bruder Ralub auf seinen kurzen, stämmigen Beinchen Mühe hatte, mit den beiden Mädchen mitzuhalten. Unverdrossen jedoch trommelte er damit über die Erde, die kahler wurde, je weiter sie rannten, hartgebacken von der Sonne und heiß unter ihren Sohlen. Auf Salimas Gesichtchen breitete sich ein Strahlen aus, das mit der Sonne über ihr wetteiferte; aufs Köstliche mischte sich in ihr der Triumph über die Lehrerin mit überbordender Zuneigung für ihre treuen Geschwister und gipfelte in einem Gefühl der Unbesiegbarkeit.
    Wir. Zusammen. Sie kann uns nichts. Keiner kann uns was!
    Ein kurzer Augenblick – kaum mehr als ein Wimpernschlag –, in dem die drei Kinder sich ansahen und dann wie auf Geheiß in Gelächter ausbrachen, übermütig und voller Schabernack. Ihr Lachen sprudelte über die Ebene hinweg, flog zum blauen Himmel hinauf und verlieh ihnen Flügel.
    Eine Pfauenhenne plusterte ihr braunes Gefieder auf und scheuchte mit aufgeregten Trippelschritten ihre Küken vor sich her, um ihre flaumige Brut vor den heranstürmenden, lärmenden Kindern zu schützen. Salima, Metle und Ralub jedoch rannten unbeirrt auf die

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