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Der Nachtelf - Himmel und Abgrund (German Edition)

Der Nachtelf - Himmel und Abgrund (German Edition)

Titel: Der Nachtelf - Himmel und Abgrund (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Tillmanns
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Ein Schrei riss Dadalore aus dem Schlaf. Sie schoss in die Höhe und starrte in die Dunkelheit des Schlafsaals. Schweiß hatte ihre Haut mit der Bettdecke zu einer Einheit verschmolzen. Allmählich begriff sie, dass sie selbst es war, die geschrien hatte.
    Um sie herum erklangen die ruhigen Atemzüge der anderen Sklaven. Warum war niemand wach geworden? Die Mädchen drangsalierten sie ohnehin bei jeder Gelegenheit. Wenn ein nächtlicher Schrei sie um den Schlaf brachte, würden sie das zum Anlass für neue Gemeinheiten nehmen. Aber keine Friebaya verspottete sie als Mentorenmädchen, keine Hakitrud schlug sie durch die Decke. Alles war still.
    Dadalore musste im Traum geschrien haben. Sie erinnerte sich nur an Fetzen von Bildern. Doch so, wie ihr Herz klopfte, war es ein schlimmer Traum gewesen.
    Morgen war der große Tag.
    Wie konnten die anderen angesichts dessen nur so ruhig bleiben? Sie freuten sich sogar darauf, sahen das Ereignis als Ausweg aus dem Sklavenpferch. Aber das war kurzsichtig und dumm. Morgen würde sich ihr Schicksal entscheiden, und die Götter allein wussten, ob es Verheißung oder Verdammnis war.
    Dadalore sank zurück aufs Bett.
    Eigentlich liebte sie die Stunden in der Nacht, wenn der Palast zur Ruhe kam, die Geräusche all der Kammerdiener und Kameltreiber, Palmwedler und Rittari verstummten und man einzig mit sich und seinen Gedanken sprach. Nur hin und wieder kam durch lange Korridore der Klang einer Feier herangeweht und nahm sie mit auf die Reise.
    Aber heute wollte sich nichts von dem einstellen. Dadalore lag nur dort wie mit dem eigenen Schweiß ans Bett geklebt. Sie hätte schreien, weinen oder einfach fortlaufen können. Doch sie blieb liegen, unbeweglich bis zur Lähmung. Der große Tag rollte wie ein Ochsenfuhrwerk auf sie zu, langsam, aber unaufhaltsam, um sie niederzuwalzen.
    Und wenn sie flüchtete?
    Kamboburg war riesig, eine entlaufene Sklavin verschwand rasch zwischen den Häuserschluchten. Sie könnte sich irgendwo als Dienerin verdingen oder sich sogar als Bürgerliche ausgeben und eine Lehre beginnen. Bei Tyrtalla, ihr standen alle Türen offen. Aber der himmlische Affe würde das nicht gern sehen. Wie oft hatte sie gebetet, dass sie die ihr gegebenen Aufgaben erfüllte? Die Gebete, die Irmhobib ihr beigebracht hatte. Irmhobib. Sie wäre sehr traurig. Sie neigte ohnehin zur Schwarzseherei. In letzter Zeit sprach sie immer öfter von schleichenden Veränderungen, die einen Schatten auf das Reich warfen und von einem drohenden Niedergang des Imperiums. Freilich wollte diese düsteren Prophetien niemand hören, und nur der Respekt vor dem Priesteramt hielt die Leute von einer geharnischten Antwort ab. So spukten die Bilder von Flucht und Neubeginn, Frevel und Untergang Dadalore durch den Kopf, während die Zeit träge, aber unerbittlich dahinfloss und sie auf das Unvermeidliche zuschob.
    Das große Ereignis.
    Die Initiation. In wenigen Stunden würde sie in einer feierlichen Zeremonie in die Welt der Erwachsenen eingeführt. Und das göttliche Los wies ihr die Stelle zu, die sie für immer zu bekleiden hatte. Sie könnte Priesterin werden. Oder Kloakensklavin. Königin. Oder Minenarbeiterin. Die anderen träumten von großen Ämtern und Ehren. Sie waren Tore, die Wunsch und Wirklichkeit nicht zu trennen wussten! Es gab nur einen König. Aber Zehntausende und Aberzehntausende von Minen- und Galeerensklaven.
    Und selbst falls sie nach menschlichem Ermessen Glück hatte und man sie in die Verwaltung schickte: Sie wäre einer jener Beamtensklaven des Imperiums, die zeitlebens nichts anderes zu sehen bekamen als den Palast. Was nutzte die ganze Ehre, wenn man sie so teuer bezahlen musste? Morgen bestimmten die Götter ihr Schicksal und schoben es über sie wie die Grabplatte ihrer Gruft.
    Dadalore ballte die Faust unter der Decke.
    Sie hatte immer zu dem himmlischen Paar gebetet und manchmal auch zu dem verfluchten Paar des Abgrunds. Sie war göttertreu. Sie achtete die Dämonen. Sie war bereit zu dienen. Aber diese Ungewissheit ertrug sie nicht. Das war mehr, als man von ihr verlangen durfte.
    Sie fasste einen Entschluss.
    Der große Tag würde auf die kleine Dadalore verzichten müssen.
    Sie schlüpfte aus dem Bett. Ihr Herz pochte bis zum Hals. Wenn sie jetzt jemand erwischte, könnte sie noch vorgeben, bloß zum Abort zu streben. Aber sobald sie den Ausgang zur Rechten gewählt hatte, wäre diese Ausrede vergebens. Sie sollte gut überlegen, wie sie nun vorging. Flüchtige

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