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Stigma

Stigma

Titel: Stigma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Hübner
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Seine Stimmbänder waren wie gelähmt. Er umklammerte Karins Hand so fest, dass sie vor Schmerz das Gesicht verzog. »Sie haben gesagt, da wäre noch etwas. Etwas, das mich damit in Verbindung bringt.«
    Dorn sah ihm eindringlich in die angsterfüllten Augen. »Ehrlich gesagt glaube ich nicht, dass Sie momentan in der Verfassung sind, das zu verarbeiten.« Er wandte sich an Karin. »Vielleicht sollten wir das Weitere im Beisein eines Arztes besprechen. Ich möchte nicht dafür verantwortlich sein, dass Ihr Mann einen Rückfall erleidet oder ernste psychische Komplikationen auftreten.«
    »Ich sitze hier vor Ihnen!«, schrie Tom außer sich. »Also reden Sie nicht über mich, als wäre ich nicht in diesem Zimmer. Ich will jetzt wissen, was Sie dort gefunden haben!«
    »Tom, beruhige dich!« Karin fasste seine Hand fester. »Der Kommissar hat recht. Ich finde diese ganze Unterhaltung schon beängstigend genug, ich möchte mir nicht auch noch Sorgen um dich machen müssen.«
    »Sie sollten auf Ihre Frau hören«, meinte Dorn. »Ich bezweifle, dass es gut für Sie wäre, wenn wir das Ganze hier fortsetzen. Ich hatte von Anfang an Bedenken, was dieses Gespräch betrifft. Aber mein Chef ist der Meinung, wir sollten Sie warnen, bevor die Presse von den Einzelheiten Wind bekommt. Und natürlich hatten wir auch gehofft, Sie könnten uns erklären, was wir dort vorgefunden haben. Aber ich halte es für unverantwortlich, Ihnen das zuzumuten. Wahrscheinlich haben wir schon zu viele alte Wunden wieder aufgerissen. Wir sollten es vorerst dabei belassen.«
    Tom, der sich mittlerweile wieder gefasst hatte, sah zu, wie die beiden Beamten sich erhoben, und stellte das leere Glas auf dem Tisch ab, das er die ganze Zeit wie einen rettenden Anker umklammert hatte. »Können Sie sich an Ihre Jugend erinnern, Herr Kommissar?«, fragte er unvermittelt, und seine Stimme klang fester, als er es erwartet hätte. »Ich meine, an Dinge wie Ihren ersten Kuss oder die Abiturfeier? Oder an den Moment, als Ihre Eltern das erste Mal stolz auf Sie gewesen sind?«
    Dorn hielt inne und blickte ein paar Sekunden lang mitfühlend auf ihn herab. »Ja«, sagte er schließlich, »ich denke schon.«
    »Sehen Sie«, meinte Tom, »ich kann das nicht, weil ich meines Wissens nie eine derartige Jugend erlebt habe. Und obwohl ich Alkohol verabscheue, würde ich mich wahnsinnig gerne erinnern können, wann ich mein erstes Bier getrunken habe. Vermutlich in irgendeiner Klinik, zwischen zwei Therapiesitzungen. Das ist nämlich alles, woran ich mich aus all den Jahren erinnern kann. An unzählige Untersuchungen, an Analysen, Diagnosen und Therapien. Aber all das Gerede und die Medikamente haben mir mein Leben und meine Erinnerung bis heute nicht wiedergegeben. Sicher, ich habe trotzdem eine Menge erreicht, und es geht uns gut hier. Aber glauben Sie allen Ernstes, ich lebe gerne in dieser Abgeschiedenheit? Ich würde mich liebend gerne mit Nachbarn streiten, Herr Kommissar, aber ich bekomme schon Schweißausbrüche, wenn ich nur einen Zaun sehe. Ich habe nicht viele Freunde, denn ich verlasse dieses Haus nur selten, und meistens auch nur, wenn es aus beruflichen Gründen sein muss oder ich meinen Arzt aufsuche. Und selbst dann fällt es mir schwer. Ich lebe nur in meiner Fantasie, Herr Kommissar. Sie ist mein gesamtes Kapital. Nicht gerade das, was man sich unter einem Prominenten vorstellt, nicht wahr?«
    Er saß jetzt aufrecht da, und das Zittern in seiner Stimme war Entschlossenheit gewichen.
    »Sie sagen, Sie haben den Bericht gelesen. Soviel ich weiß, beschreibt dieser Bericht fast ausschließlich Dinge, die sich während und nach meiner Befreiung abgespielt haben. Was genau in den drei Stunden geschehen ist, die ich diesem Monster hilflos ausgeliefert war, konnte nie genau geklärt werden. Trotzdem hat es mein Leben zerstört, Herr Kommissar. Nur ganze drei Stunden waren dazu nötig.«
    Wieder rang Tom mit seinen Gefühlen, und es fiel ihm schwer, die Fassung zu wahren.
    »Sie glauben tatsächlich zu wissen, was ich damals durchgemacht habe?« Vorwurfsvoll sah er zu den beiden Beamten auf. »Dann wissen Sie offensichtlich mehr als ich, denn alles, was an diesem verfluchten Tag geschehen ist, entzieht sich vollständig meiner Erinnerung. Es ist nicht gelöscht, aber ich habe einfach keinen Zugriff mehr darauf. Die Ärzte haben gesagt, das sei eine Art Schutzfunktion meines Unterbewusstseins. Quasi eine körpereigene Gehirnwäsche, mit der mein Verstand mich daran

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