Stille Kuesse sind tief
genug zusammen gewesen. Auch wenn der Vorfall ihr Ego angekratzt hatte, würden keine Narben zurückbleiben. Natürlich kam sie sich ein wenig dumm vor, weil sie ihn falsch eingeschätzt hatte, aber jeder durfte hin und wieder mal einen Fehler begehen. Das, was sie aus ihrem Fehler lernte, würde letztlich etwas über ihren Charakter aussagen.
Sie wandte sich von ihrem Computer ab, um aus dem Fenster zu schauen. Was ihr am meisten zu schaffen machte, war die Tatsache, dass sie sich so in ihm getäuscht hatte. Sie war so glücklich darüber gewesen, dass Shane ein anständiger Kerl zu sein schien – so gar nicht wie ihr Ex. Aber letztlich hatte sich herausgestellt, dass er leider doch viel mehr Ähnlichkeit mit Lewis hatte, als sie zugeben wollte. Er hatte sie für seine eigenen Zwecke benutzt, ohne auch nur einen Gedanken an ihre Gefühle zu verschwenden.
Plötzlich klopfte jemand an ihre Bürotür. Sie drehte sich um und rief: „Herein“, nur um festzustellen, dass Shane in der Tür stand.
Sofort begann ihr Herz unkontrolliert zu rasen. Die Erinnerung daran, wie schön es gewesen war, mit ihm zu schlafen, machte es schwierig, einen vernünftigen Gedanken zu fassen.
Na gut, vielleicht war sie doch noch nicht so weit über ihn hinweg, wie sie gehofft hatte.
„Hast du einen Moment Zeit?“, fragte er.
Er sieht gut aus, dachte sie verbittert. So gebräunt und kräftig, mit dieser eng anliegenden Jeans, die seine muskulösen Beine betont. Wieso war ihm in den letzten beiden Tagen kein Buckel gewachsen? Oder ein zweiter, ziemlich unattraktiver Kopf?
Sie deutete auf den Stuhl vor ihrem Schreibtisch und verschränkte die Finger in ihrem Schoß.
„Geht es um eine Sache, die die Bücherei betrifft, oder um etwas anderes?“
„Um etwas anderes.“
Sie wartete. Was auch immer er zu sagen hatte, sie würde es sich anhören, ihm eine Antwort geben und ihn dann wieder fortschicken. Sie war ganz ruhig, hatte alles unter Kontrolle und würde Kraft aus dem spirituellen Vermächtnis der mächtigen Máa-zib-Frauen ziehen, die vor Urzeiten hierhergekommen waren. Und wenn das nicht half, dann würde sie sich Unterstützung bei Charlie suchen. Denn sie war sich ziemlich sicher, dass es Charlie durchaus gelingen könnte, Shane zusammenzuschlagen. Zumindest konnte sie es versuchen.
„Es tut mir leid“, sagte er. „Ich habe mich schlecht benommen.“
Sie starrte ihn an. „Ach ja? Inwiefern?“
Nachdem er einmal tief Luft geholt hatte, erklärte er: „Komm schon, Annabelle. Du weißt, wovon ich rede. Nachdem wir miteinander geschlafen hatten, habe ich gesagt, ich würde gehen, da ich dich ja nun wohl aus dem Kopf bekommen könnte.“
Die Worte klangen beim zweiten Mal noch genauso verletzend wie beim ersten Mal, doch Annabelle ermahnte sich, sie sich nicht allzu sehr zu Herzen zu nehmen.
„Ich habe es nicht so gemeint“, sagte er. „Jedenfalls nicht genau so.“
Sie wartete weiter. Wenn er einen Weg aus diesem Schlamassel finden wollte, dann würde er ihn schon allein suchen müssen.
Frustriert fuhr er sich durchs Haar und blickte dann wieder zu ihr. „Ich bin von der ersten Sekunde an von dir besessen gewesen, seit ich dich auf diesem verdammten Bartresen hab tanzen sehen.“
Überrascht hob sie das Kinn. „Das hast du gesehen?“
„Oh, ja. An einem der ersten Abende nach meiner Rückkehr nach Fool ʼ s Gold bin ich zufällig in Jo ʼ s Bar gelandet, und dort habe ich dich tanzen sehen. Das war so, als hätte mich der Blitz getroffen. Ich konnte nicht mehr aufhören, an dich zu denken. Am liebsten hätte ich dich dort sofort über meine Schulter geworfen und sonst wo hingebracht.“ Verlegen grinste er sie an. „Aber für solche Sache kann man leicht mal verhaftet werden.“
„Hab ich auch schon gehört.“
„Also bin ich, so schnell es ging, von dort verschwunden, aber du bist mir trotzdem nicht mehr aus dem Kopf gegangen. Daher habe ich meine Mom gefragt, ob sie nicht eine nette Frau für mich finden könne. Eine Frau, die eher … langweilig und nicht so aufregend ist.“
Seine Reaktion auf ihren Tanz in der Bar hatte ihrem verletzten Ego sehr gutgetan. Aber jetzt verflüchtigten sich diese angenehmen Gefühle schlagartig wieder. „Du meinst, so jemanden wie eine Bibliothekarin?“
Er nickte betreten. „Sie erwähnte dich, und das klang gut und vor allem sicher, aber als du dann aufgetaucht bist, war ich verloren.“ Er beugte sich vor. „Ich habe dir von Rachel erzählt und dass du mich an
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