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Stoerfall - Nachrichten eines Tages

Stoerfall - Nachrichten eines Tages

Titel: Stoerfall - Nachrichten eines Tages Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa Wolf
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ihr seine eigene Gestalt, da kann man von Schreck nicht mehr reden, oder von Grauen, da kann man überhaupt nicht mehr reden, denn mag es windstill sein im Zentrum des Zyklons, so ist es doch auch still(nicht ruhig: still, ohne Laut), Plus- und Minuspol fallen zusammen, »Scham« mag auch ein schönes altes Wort sein, und wie sind die zu beneiden, die sich durch Scham erneuern dürfen, denen eine Reinigung durch Bekennen vergönnt ist, aber um Erneuerung oder Reinigung geht es ja nicht mehr, es geht um den vollständigen Zusammenbruch und um gar kein Versprechen, geschweige eine Gewißheit für die Zeit danach, außer der einen, daß es Wiedergutmachung nicht gibt, aber müssen denn, fragt ein Rest von Widerstand, Schreib-Lust und Zerstörung aneinandergekoppelt sein, der Umkreis von Zerstörung um einen Schreibenden, wie oft habe ich ihn beobachtet, wie ihn gefürchtet, ihn manchmal umgehen, nicht immer vermeiden können, da es in der Natur der Sache, im Wesen des Lasters Schreiben zu liegen scheint, daß es Rücksichten nicht kennt und der eingreifende Schreibvorgang, von dem so viel die Rede war, in zustimmendem Sinn, doch auch immer Menschen mit greift, Personen, die durch die Beschreibung zu Betroffenen werden, sich beobachtet, aufgespießt, kategorisiert fühlen müssen, verkannt, in schlimmeren Fällen verraten, immer aber auf Distanz gebracht, um der gelungenen Formulierung willen, und dagegen weiß ich kein Mittel außer Schweigen, was das Übel von außen nach innen verlegt, dann also sich selbst weniger schonen als die anderen, wiederum Selbstbetrug.
    Der Kreis schien sich zu schließen, die Katze hat sich in den Schwanz gebissen, sehr eng ist es mirum die Brust geworden, da hat mein braves Gedächtnis, manchmal doch auch im Bunde mit mir, mir ein paar Zeilen zugetrieben, zwei Verse eines früheren Dichters, und ich brauchte nur einen Buchstaben zu verändern, um den Ring zu sprengen:
    Du sollst dich nicht entschuldigen,
    Du sollst nur sagen, wie es kam!
    Ach ja. Das gute alte neunzehnte Jahrhundert. »Mich« oder »dich« – da liegt der ganze Unterschied in einem Buchstaben, und da kann man, habe ich gedacht, nein: muß man der Sprache doch auch wieder froh werden. Du sollst nur sagen, wie es kam. Das »nur« habe ich sehr genossen.
    An jenem Abend haben sie auf mehreren Fernsehkanälen zum ersten Mal den Umriß des verunglückten Reaktors gezeigt, ein Schema, das sich uns mit der Zeit ebenso einprägen müßte wie das Symbol des Atompilzes. Herren haben sie vor die Kameras gesetzt, die allein durch ihre gut geschnittenen grauen oder graublauen Anzüge, durch die dazu passenden Krawatten, den dazu passenden Haarschnitt, ihre besonnene Wortwahl und ihr ganzes amtlich beglaubigtes Dasitzen eine beruhigende Wirkung ausgestrahlt haben – ganz im Gegensatz zu den paar jüngeren, bärtigen Pulloverträgern, die durch ihr aufgeregtes Reden und heftiges Gestikulieren den Verdacht erweckten, sie hätten die Mikrofone widerrechtlich erobert, und ich habe an die Leute im Lande denken müssen, an die arbeitsamen, stillen Leute in den beiden Ländern, die ihre Blicke abendsauf dem Bildschirm vereinen, und mir ist klargeworden: Auf die im Pullover werden sie weniger hören als auf die in den Maßanzügen mit ihren maßvollen Meinungen und ihrem maßvollen Verhalten; sie wollen nach den Mühen des Tages am Abend im Sessel sitzen wie ich und ihr Bier trinken – bei mir ist es Wein, na schön –, und sie wollen etwas vorgeführt kriegen, was sie freut, und das kann gerne ein verzwickter Mordfall sein, aber es soll sie nicht zu sehr angehn, und das ist das normale Verhalten, das uns anerzogen wurde, so daß es ungerecht wäre, ihnen dieses Verhalten jetzt vorzuwerfen, bloß weil es dazu beiträgt, uns umzubringen. Auch in mir habe ich einen starken Hang zu diesem Normalverhalten gespürt, mein Wein war gut gekühlt und hat grünlich gefunkelt, wenn ich das Glas gegen die Lampe hielt, und ich habe mich wohl gefühlt in meinem Sessel, in diesem Raum und in dem alten Haus, auch du, Bruder, würdest gesund werden, und warum sollten nicht auch eine ganze Menge anderer Probleme einer gütlichen Lösung zugeführt werden. So hätte meinetwegen eine Weile noch alles so bleiben können, wie es war, und in dieser geheimen Hoffnung habe auch ich den Fernsehherren zugehört. Auf dem einen Kanal haben sie sich ausführlicher mit der Wolke beschäftigt, die ja nun auch schon ein wenig zu unserer großen Fernsehfamilie gehört hat,

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