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Stoerfall - Nachrichten eines Tages

Stoerfall - Nachrichten eines Tages

Titel: Stoerfall - Nachrichten eines Tages Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa Wolf
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bestätigt, ein erworbener Schutz vor den eigenen Einsichten über uns selbst und vorden Angriffen von außen. – Ob man trotzdem versuchen solle, in unseren blinden Fleck einzudringen, ihrer Meinung nach. – In deinem Beruf? hat sie gesagt. Unbedingt. Aber alleine schaffe man das nicht. – Ich habe, während ich weiter mit ihr gesprochen habe, zugleich meine Unbedingtheiten, als ich so alt war wie sie, mit ihren Unbedingtheiten verglichen und habe überlegt, ob sie mir einen früheren Hang zur Unbedingtheit überhaupt noch würde glauben können oder wollen, während ich sie gefragt habe, wo sie die Grenze sehen würde für das Experiment, unsere Grenzschutzsicherungen abzubauen, und sie hat gesagt, was ich erwartet hatte: Es gebe da keine Grenze, kein Halt, wenn man einmal ernsthaft damit begonnen habe. – Depressionen? habe ich gesagt. Selbstmordgefahr? – Würden sich dann auch nur als Abwehrformen entpuppen, quälend zwar, aber immer noch leichter erträglich als die konkrete Wahrnehmung des wirklichen eigenen Ungenügens. Wenn man sie aber einmal zugelassen habe, weiche der depressive Druck, und es wachse der Mut zu handeln – ein zwar schmerzhafter, doch auch lustvollspannender Prozeß. – O Tochter, habe ich gesagt, dein Wort in Gottes Gehörgang. – Siehst du, hat meine ältere Tochter gesagt, nun wehrst du wieder ab, und so stark mir bewußt gewesen ist, daß ein Ersuchen um Schonung nichts anderes als Abwehr ist, so sehr habe ich ihre Behauptung bestreiten müssen und, so schnell es ging, ihr Augenmerk auf die Abwehrmechanismen ganzer Kulturen gelenkt. Dafürsei sie nicht zuständig, hat sie gesagt, aber warum solle es nicht eine Chance für eine ganze Kultur sein, wenn es möglichst viele ihrer Mitglieder wagen können, der eigenen Wahrheit ohne Angst ins Gesicht zu sehen? Was ja heiße, die Bedrohung nicht dem äußeren Feind aufzubürden, sondern sie da zu lassen, wo sie hingehöre, im eigenen Innern. – Ob dies nicht die allerutopischste von allen Utopien ist, habe ich mich, nicht sie, gefragt.
    Während wir noch über Erfahrungen mit Angst hin- und hergeredet haben (unterscheiden nicht die Objekte ihrer Angst die Generationen mehr als alles andere?), ist die Enkeltochter ans Telefon gekommen. Ja, hat sie gesagt, soweit sei alles o. k. Ob ich »Prinz« kenne. Ein Hund? habe ich unvorsichtigerweise gefragt und im selben Moment gewußt, wie ich damit wieder einmal meine abgrundtiefe Desinformiertheit bloßstellte. Nachdem die heftigen Reaktionen am anderen Ende der Leitung sich gelegt hatten, hat sich herausgestellt, »Prince« war ein Sänger aus der Rock-Szene und sah dem neuen Freund meiner Enkeltochter ähnlich. – Umgekehrt wird wohl ein Schuh draus, habe ich gesagt, das hat sie überhört. Sie habe ihn, Mike, den neuen Freund, vorige Woche in der Disko kennengelernt: Er sei süß. – Blond oder schwarz? habe ich gefragt. – Schwarz natürlich. Blond käme überhaupt nicht in Frage. – Man soll nie »nie« sagen, habe ich gesagt und meine Mutter aus mir reden hören; habe sie stehen sehen und mit ihrer Enkeltochter, meiner Tochter, telefonierenhören: Aber Kind, ist das alles nicht ein bißchen früh! – Also habe ich diesen Satz nicht zu meiner Enkeltochter gesagt, sondern mir ihre gefühlsgeladenen Kommentare zu ihren verschiedenen Lehrern angehört, immer darauf bedacht, mein Verständnis zwischen ihr und den Lehrern zu teilen, aber meine Enkeltochter brauchte keinen Gerechtigkeitssinn, ihr hat es vollauf genügt, daß sie ihrer Zu- und Abneigungen sicher war.
    Meine Güte, habe ich dann doch sagen müssen, als die Tochter wieder am Apparat war. Passiert jetzt alles ein, zwei Jahre früher, nicht? – Sie beeilen sich eben, hat sie erwidert. Vielleicht weiß etwas in ihnen, warum. – Anstrengend? habe ich gefragt, und sie hat gesagt: Manchmal schon, und ich habe sie auf das Wirken der ausgleichenden Gerechtigkeit hingewiesen, die eben eine ganze Generationsspanne brauche, um voll zum Zuge zu kommen. Dann habe ich mich nach dem Enkelsohn erkundigt. Ob sie ihn in diesen Tagen in der Wohnung halten könnten. – Ausgeschlossen, hat sie erwidert. Er sause den ganzen Tag mit dem Fahrrad draußen rum. Aber man habe ihn immer gründlich abgeduscht, und wenn es regnen sollte, müßte er eben drin bleiben. Übrigens beschäftige er sich gerade mit den letzten Fragen des Daseins. Heute zum Beispiel habe er, auf dem Klo sitzend, seinen Vater durch die Tür gefragt: Papa, wie kommt eigentlich

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