Stolz der Kriegerin
sich, und nun begann das magische Feld um Tirah zu pulsieren. Eine Art Rüssel bildete sich, wuchs auf die Schale zu und sprang von ihr auf Rogon über. Dieser stöhnte und schlug trotz seiner Bewusstlosigkeit um sich. Kurz darauf aber floss kräftige, blaue Magie aus dem Leib des junges Mannes zu Tirah hinüber.
Die Kriegerin, die bislang starr wie eine Statue auf ihrem Altar gelegen hatte, bewegte sich, und für einige Augenblicke trat ein verwirrter Ausdruck auf ihr Gesicht. Blaue Magie hatte sie wohl nicht erwartet. Dann aber sog sie diese wie eine Verdurstende in sich auf.
Das Geräusch der Schale wurde so laut, dass Sung bis an die Treppe zurückwich und die Hände auf die Ohren presste. Der Saugrüssel, der zunächst etwa so dick wie ein Kinderarm gewesen war, schwoll an und entriss dem jungen Mann dabei immer mehr magische Lebenskraft, um sie in Tirah hineinzupressen. Diese begann zu atmen, öffnete den Mund und stöhnte.
Es klappt, sie wacht auf!, jubelte Sung innerlich und empfand Triumph. Er hatte etwas vollbracht, an dem sogar Sirrin zuletzt gescheitert war. Allerdings hatte er mit Prinz Rogon von Andhir auch das ideale Opfer gefunden.
Der Heiler schnaufte erleichtert, als er sah, wie stark die magische Quelle in seinem Begleiter war. Noch immer floss Rogons Kraft als breiter, blauer Strom zu Tirah hin. Nun konnte es nicht mehr lange dauern, dann würde sie von ihrem Steinblock herabsteigen, das große Schwert an sich nehmen, das neben ihr lag, in den Süden gehen und die Feinde vertreiben, die über den Großen Strom gekommen waren. Sobald dies geschehen war, würde auch er wieder in seine Heimat zurückkehren können.
☀ ☀ ☀
Ein misstönender Klang riss Sung aus seinen Zukunftsträumen. Irritiert blickte er auf und stellte fest, dass der Strom der Magie, der von Rogon zu Tirah floss, mit einem Mal dünner wurde und schließlich ganz erlosch. Im ersten Moment glaubte der Heiler, der junge Mann wäre der Anstrengung erlegen, der Kriegerin als Quelle neuen Lebens zu dienen. Doch da schüttelte Rogon sich auf einmal, richtete sich langsam auf und sah sich mit verzerrter Miene um.
Verzweifelt überlegte Sung, was er tun sollte. Am besten erschien es ihm, den Prinzen erneut niederzuschlagen. Doch der Stein, den er dazu benutzt hatte, lag ebenso wie Rogons Waffen hinter dem Altar. Um ihn zu erreichen, hätte er an seinem Opfer vorbeikommen müssen.
Ich hätte klüger sein und die Sachen an mich nehmen sollen, durchfuhr es ihn. Nun aber musste er den jungen Mann erwürgen und würde dessen Tod dabei schmerzhaft in sich spüren.
Sung trat einen Schritt vor, doch da hallte ein Schlag durch das Gemäuer und warf ihn zu Boden. Halb betäubt sah er, wie die Kristallschale zersprang. Glühend heiße Splitter trafen seine Kleidung und sein Gesicht. Der Geruch versengter Haare und verbrannten Stoffes stieg ihm in die Nase, und er klopfte hektisch an sich herum, um die kleinen Brände zu ersticken.
Als er sich wieder Rogon zuwenden konnte, stand dieser unversehrt im Raum und nahm eben Tirahs Schwert an sich. Aber nicht das erfüllte Sung mit Entsetzen, sondern der stete Strom violetter Magie, der jetzt von Tirah auf den Prinzen zufloss. Nun war nicht mehr Rogon der Spender, sondern die Kriegerin.
Tirah wand sich in Todesqualen auf ihrem Steinblock und tastete nach ihrem Schwert. Doch die lange Klinge mit dem kinderfaustgroßen, violetten Edelstein im Knauf lag unerreichbar für sie in Rogons Händen. Sie versuchte noch aufzustehen, um ihre Waffe an sich zu bringen, brach aber mit einem verzweifelten Aufschrei neben dem Steinblock zusammen.
Panikerfüllt sah Sung, wie ihr Körper sich in reine Magie auflöste, die von Rogon aufgesogen wurde. Wenige Augenblicke später lagen nur noch die Teile ihrer Rüstung am Boden. Von ihr selbst konnte er nicht einmal mehr auf magischem Weg eine Spur entdecken.
Der Prinz von Andhir war ein Magiefresser! Der Gedanke brannte wie alles verzehrendes Feuer in Sungs Kopf, und sein Geist brach unter den Wellen der Panik zusammen. Statt ein passendes Opfer für Tirah zu finden, hatte er ihr den Tod gebracht und würde diesem Ungeheuer, das er geweckt hatte, als Nächstes zum Opfer fallen.
Rogon verstand nicht, was geschehen war, aber eines war ihm klar: Er war von Sung, in dem er einen Freund gesehen hatte, in eine Falle gelockt worden, in der er hätte umkommen sollen. Sein Sehvermögen war so getrübt, dass er nur violette Schlieren um sich wahrnahm. Doch er spürte die
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