Sturm der Herzen
Kutscher zügelte sein Gespann, und die Kutsche kam zum Stehen, die Vorreiter hielten ihre Pferde ebenfalls an und stiegen ab. Auch wenn er nicht bereits das Wappen auf dem Kutschenschlag erspäht hätte, hätte er doch gewusst, wer seine überraschenden Besucher waren.
Mit einem breiten Grinsen sagte er zu Isabel: »Es sind Julian und Charles mit ihren Frauen.«
Während die Diener auf der Rückseite der Kutsche heruntersprangen, um den Damen beim Aussteigen behilflich zu sein, gingen die beiden Herren zu Marcus und Isabel. Isabel hatte Julian, Lord Wyndham schon als Kind gekannt, aber Charles Weston hatte sie noch nie getroffen, einen weiteren von Marcus’ vielen Cousins. Keiner hatte ihr zuvor gesagt, dass Julian und Charles sich so ähnlich sahen, dass sie als Zwillinge durchgehen könnten, sodass sie, als sie sie zum ersten Mal nebeneinander sah, mit offenem Mund vom einen zum anderen schaute. Wie ihr Ehemann waren beide Cousins hochgewachsen, hatten breite Schultern und schwarzes Haar, und auch wenn die Ähnlichkeit mit Marcus weniger stark ausgeprägt war, so war doch nicht zu übersehen, dass sie miteinander verwandt waren.
Charles lächelte sie an und sagte: »Ich sehe, dass Ihr Ehemann Ihnen noch gar nichts von seinen gut aussehenden Cousins erzählt hat.« Er schaute Marcus an. »Schäm dich!« Dann wandte er sich wieder an Isabel, machte eine Verbeugung und sagte: »Ich bin Charles Weston und überglücklich, die Frau zu treffen, die ihn schließlich zu Fall gebracht hat.«
Isabel kicherte, von seinem Verhalten bezaubert.
Julian lächelte ebenfalls. »Es ist mir eine große Freude, Sie wiederzusehen, Madam. Und ich wünsche Ihnen zu Ihrer Hochzeit viel Glück und alles, alles Gute.« Er sandte Charles einen Blick und fügte hinzu: »Sie müssen ihm verzeihen. Es liegt in seinem Wesen, unverblümt zu sein. Glücklicherweise ist er auch überaus amüsant, daher halten wir es mit ihm aus.«
So froh er auch war, seine Verwandten zu sehen, konnte Marcus sich nicht verkneifen, sich zu erkundigen: »Ihr wisst, dass ihr mir stets willkommen seid, aber was bringt euch so unerwartet an meine Tür?«
Julian sagte nur: »Nell. Sie hatte einen Traum.«
Es war offensichtlich, dass Marcus und Charles sogleich verstanden, was diese rätselhafte Bemerkung bedeutete. Aber Isabel blickte verwundert von ihrem Mann zu seinen Cousins. Ehe sie eine Erklärung fordern konnte, kam Nell selbst zu ihr geeilt, gefolgt von Daphne, Charles’ Ehefrau. Die beiden Frauen sahen sehr unterschiedlich aus, Nells Haar war von einem weichen Goldbraun, ihre Augen waren meergrün, und obwohl Nell groß war, überragte Daphne sie noch um einen halben Kopf. In Daphnes haselnussbraunen Augen stand Herzlichkeit, als sie Isabel begrüßte, ihr dickes, schwarzes Haar war zu einem ordentlichen Knoten aufgesteckt. Isabel, die von beiden umarmt wurde, konnte sich nur über das Schicksal wundern. Diese wunderschönen Frauen waren ihre Verwandten!
Mehrere chaotische Momente folgten, während alle ins Haus geführt wurden, wo eine ganze Schar Diener entsandt wurde, beim Ausladen des Gepäcks zu helfen und Zimmer für die unerwarteten Besucher vorzubereiten. Schließlich saßen sie alle in der Bibliothek, und Thompson überwachte das Servieren von verschiedenen Erfrischungen. Sobald alle versorgt waren, winkte er den Lakaien, den Raum zu verlassen, verneigte sich und schloss die beiden Flügeltüren hinter sich.
Eine Weile unterhielt man sich über dies und das, die Damen nippten von ihrem Tee, und die Herren genossen ihren Brandy, ehe Isabel Nell fragte: »Was hat Ihr Gatte gemeint, als er sagte, Sie hätten einen Traum gehabt?«
Mit ernst blickenden Augen antwortete Nell: »Hat Marcus Ihnen noch nichts von … Charles’ schrecklichem Halbbruder Raoul und meinen Albträumen seinetwegen erzählt?«
Ihren Ehemann finster ansehend antwortete Isabel: »Nein, hat er nicht.«
Daphne beugte sich vor und fragte leise: »Hat er die Gespenster erwähnt, die uns im Hause meines Bruders in Cornwall begegnet sind? Es war ja erst vor ein paar Monaten.«
Schuldbewusst warf Marcus rasch ein: »Wir sind doch erst seit Kurzem verheiratet, und daher habe ich es nicht für notwendig erachtet, ihr den Kopf mit …«
Er brach ab, und Charles beendete den Satz spöttisch für ihn. »Unsinn zu füllen?«
Isabel rettete ihn, indem sie fragte: »Aber was hat das alles damit zu tun, dass Nell einen Traum hatte?«
Nell, die der Ansicht war, dass jetzt nicht der
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