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Sturm: Roman (German Edition)

Sturm: Roman (German Edition)

Titel: Sturm: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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auf dem Akuyi eben noch gestanden hatte – schlimmer noch, genau in die Stelle, an der er sie gesehen hatte und zischte als bösartiges, tausendfach zerfasertes Energiegewitter den Hügel hinab, setzte feuchtes Gebüsch in Brand, als sei es pulvertrocken, brachte Pfützen und Wassermulden zum Kochen …
    Dirk hatte nicht einmal die Zeit, einen Schrei auszustoßen. Er sah den zerfaserten Blitz auf sich zusausen, und er sah in seinem Licht kleine, schwarze Gestalten mit weißen Masken, sah sie aus ihren Verstecken hervorbrechen, hörte sie triumphierend aufheulen, sah sie Speere in den Händen wiegen, sah Keulen, Steinmesser, Blasrohre und Wurfgeschosse, vernahm ihren wild kreischenden Kriegsgesang …

BUCH I
    Wer Wind sät, wird Sturm ernten.
    Hosea 8, 7
    Ein großer Sturm kam über den Berg,
    der die Felsen zerriss;
    aber der Herr war nicht im Sturm.
    1. Könige 19, 1 – 15

Kapitel 1
    Dirk stieß einen Schrei aus und fuhr hoch. Ein Blitzgewitter fuhr über die Wand, über die afrikanischen Masken, die dort hingen, seit Kinah bei ihm eingezogen war, und hauchte ihnen scheinbar Leben ein – ein Verziehen von Augenbrauen, ein Vorstülpen wulstiger Lippen, ein vorwurfsvolles Stirnrunzeln. Dirk hatte die Masken von Anfang an nicht gemocht und es gehasst, dass sie ihm bei allem zusahen, was er mit Kinah im Bett trieb. Es kam ihm vor, als hätte sie ihre Ahnen aus ihrer afrikanischen Heimat mitgebracht, damit sie an den intimsten Details ihres Lebens teilnahmen und es überwachten –als müssten sie sich davon überzeugen, dass der weiße Mann gut genug für die Tochter des mächtigen Schamanen war. Vor allem aber mochte Dirk es nicht, dass die Masken ihn beobachteten, wenn er am Abend in den Schlaf hinüberdämmerte oder sich am Morgen, von Kinah sanft oder leidenschaftlich geweckt, hin und her rekelte oder seinen rituellen Kampf mit den zwei Weckern ausfocht, die im Wechsel klingelten, ohne ihn wirklich aus dem Schlaf reißen zu können.
    Jetzt, da ihn auch die Maske mit den breiten Augenschlitzen wieder anfunkelte, erinnerte er sich daran, wie er sie eines Morgens abgenommen hatte, nicht nur probeweise, sondern mit der ernsthaften Absicht, sie in irgendeinem Winkel ihres Hauses verschwinden zu lassen. Just in diesem Moment war Kinah aus dem Badezimmer gekommen, und er hatte sich ertappt gefühlt wie ein kleines Kind, das seiner Mutter zum ersten Mal Süßigkeiten klaute. Und Kinah hatte ihn auch genau so behandelt. Er hatte sie noch nie schreien gehört, bis zu jenem Morgen, dann aber dafür umso lauter. Seinen früheren Freundinnen war er selten eine Antwort schuldig geblieben, aber Kinah gegenüber hatte er kaum ein Wort herausgebracht, so betroffen hatte ihn ihre Fassungslosigkeit gemacht. Schließlich hatte sie sich neben ihn auf das Bett gesetzt, ihn umarmt – auch das eher wie eine Mutter und nicht wie eine Geliebte – und ihm uralte Geschichten erzählt von Ritualen und Ahnenkult und natürlich von den Masken. »Sie wachen über deinen Schlaf«, hatte sie schließlich behauptet. »Solange sie da sind, kann dir nichts Böses zustoßen. Deswegen darfst du sie nie abhängen. Hörst du? Niemals und unter keinen Umständen!«
    Aus dem Mund einer anderen Frau hätte es wie ein Spruch geklungen, mit dem man kleine Kinder beruhigt. Doch Kinahs wunderschöne Augen hatten dabei geblitzt, temperamentvoll und voller Nachdruck und Ernsthaftigkeit, und Dirk hatte sich ihrem Zauber nicht entziehen können – wieder einmal nicht. Sie hatten sich geliebt danach, und es war …
    Schluss!
    Dirk verscheuchte die Erinnerung an Kinah und war mit einem Satz aus dem Bett – oder zumindest wollte er mit einem Satz aus dem Bett, aber sein Kreislauf machte ihm einen Strich durch die Rechnung und zwang ihn, in gebückter Haltung auf der Kante seines Bettes hocken zu bleiben und zu versuchen, das Flirren vor seinen Augen wegzublinzeln und seinen Atem zu beruhigen, der auf einmal unangenehme Ähnlichkeit mit einer bergan fahrenden Dampflokomotive hatte. Er bewegte probehalber die Beine und irgendetwas fiel klirrend um. Dann war ein gluckerndes Geräusch zu hören – Whiskey oder Wodka? Er konnte sich beim besten Willen nicht daran erinnern, was er gestern bis an die Grenze zur Bewusstlosigkeit in sich hineingeschüttet hatte. Er wollte sich vorbeugen und die Flasche aufrichten.
    Er kam nicht einmal ein paar Zentimeter weit. Sein Kopf, der sich bisher nur dumpf und taub angefühlt hatte, schien plötzlich zu explodieren. Er keuchte

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