Was starke Männer schwach macht
1. KAPITEL
Als Tony Veracruz vor der Wache aus dem Feuerwehrauto stieg, war er noch immer vollgepumpt mit Adrenalin. Er kam gerade mit seinen Kollegen von einem Hausbrand im Süden von Dallas zurück, aber bei ihrer Ankunft dort hatte eine andere Wache das Feuer bereits im Griff gehabt, sodass es nichts mehr für sie zu tun gegeben hatte.
Tony hielt den Verkehr auf der viel befahrenen Jefferson Street an, damit Leutnant McCrae das Fahrzeug rückwärts in die Wache fahren konnte. Hoffentlich ging die Sirene gleich wieder los. Je mehr sie zu tun hatten, desto besser.
In den letzten zehn Stunden dieses heißen Augusttags war Tony zu einem Einsatz nach dem anderen ausgerückt, darunter auch die Rettung eines Kindes aus einem Abwasserkanal, was ihm jedoch insgesamt nur recht gewesen war.
Sobald er nämlich untätig herumsaß, musste er ununterbrochen an Daralee denken. Warum konnte er sie nicht einfach vergessen? Schließlich hatte sie mit ihm Schluss gemacht, und nichts würde sie zu ihm zurückbringen.
Als Tony gerade das Tor schließen wollte, sah er aus dem Augenwinkel, dass sich auf der anderen Straßenseite etwas bewegte.
„Hey, Ethan“, rief er seinem Kollegen und langjährigen besten Freund zu. „Bei Brady drüben ist Licht an.“
Seine Bemerkung erregte die Aufmerksamkeit aller in Hörweite. Sie hasteten zum Tor, um einen Blick auf die leuchtende Bierreklame im Fenster von Brady’s Tavern zu werfen. In den letzten zwei Wochen war dort alles dunkel geblieben – seitdem Brady Keller, in dritter Generation Besitzer der beliebtesten Bar im Oak-Cliff-Viertel in Dallas, friedlich im Schlaf gestorben war.
„Vielleicht wird die Bar ja wieder eröffnet“, mutmaßte Tonys Freund Ethan hoffnungsvoll.
Tony zuckte mit den Achseln. „Hoffentlich.“
Oak Cliff war früher einmal eine eigenständige Stadt auf der anderen Seite des Flusses gewesen, bis Dallas sie vor gut hundert Jahren geschluckt hatte. Das bunte, lebendige Viertel lag direkt gegenüber der City, und deren Bewohner blickten nur naserümpfend auf den Stadtteil hinab. Doch die Einwohner von Oak Cliff waren stolz auf ihre Andersartigkeit.
Brady’s Tavern war in diesem Viertel eine echte Institution und Tony dort Stammgast gewesen, seitdem er mit siebzehn einen gefälschten Ausweis bekommen hatte. Da die Bar gleich gegenüber der Feuerwache lag, wurde sie stark von Polizisten und Feuerwehrleuten frequentiert.
Der gute alte Brady Keller war genauso Bestandteil des Inventars gewesen wie der klebrige Holzfußboden und der alte Shuffleboardtisch. Er hatte immer für alle ein offenes Ohr gehabt und so manchem Unglücksraben ein Bier spendiert – vorausgesetzt, seine Geschichte war traurig genug.
Immer wenn Tonys Beziehungen in die Brüche gingen – was mit alarmierender Häufigkeit geschah –, war er direkt zu Brady’s hinüber marschiert, um sich dort mit einer Runde Poolbillard, einer Sportsendung im Fernsehen und einem Bier zu trösten. Bis vor zwei Wochen.
Die gesamte Belegschaft der Feuerwache 59 betrauerte den Verlust Bradys und seiner Bar zutiefst. Vor allem, seitdem dort ein Verkaufsschild im Fenster hing.
„Könnt ihr etwas erkennen?“, fragte Ethan.
„Ich glaube, ich sehe jemanden“, antwortete Priscilla Garner, ebenfalls eine gute Freundin Tonys und zudem seine Vermieterin.
Sie, Ethan und Tony hatten erst vor Kurzem gemeinsam die Feuerwehrausbildung absolviert, wohnten alle im selben Block des Viertels, übernahmen dieselben Schichten und hielten auch sonst zusammen wie Pech und Schwefel. Als Berufsanfänger hatten sie seitens der altgedienten Feuerwehrmänner eine Menge auszustehen gehabt – so etwas schweißte zusammen.
„Vielleicht ist die Bar ja inzwischen verkauft“, fügte sie hinzu.
„Ich habe zufällig gesehen, wer da reingegangen ist“, mischte Otis Granger sich ein, ein weiterer Stammgast bei Brady’s . Sein Name zierte sogar einen der Hocker am Tresen. „Es waren zwei Mädchen. Sie sahen allerdings nicht wie typische Barbesitzerinnen aus.“
„Mädchen?“, fragte Tony neugierig.
„Na ja, junge Frauen“, räumte Otis ein. „Aber eine davon sieht aus wie ein Teenager.“
Die Belegschaft der Feuerwache 59 hoffte, dass der neue Besitzer die Bar genauso weiterbetreiben würde wie bisher. Brady’s hatte in den letzten Jahren zwar zunehmend Konkurrenz durch schicke Lokale bekommen, aber die Stammkunden wollten keine Veränderung.
„Sollten wir mal rübergehen und nachfragen?“, schlug Ethan
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