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Sturmwelten 01

Sturmwelten 01

Titel: Sturmwelten 01 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Hardebusch
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blickte, hatte sie das Monstrum auf seiner Schulter gesehen, wie es sie mit seinen goldenen Augen anstarrte. Sie wagte nicht, sich zu bewegen, ja kaum zu atmen.
    »Ich bin nicht dein Herr«, erklärte der Mann und schob sanft mit dem Finger ihr Kinn hoch. Ängstlich sah Sinao ihm ins Gesicht. Die Aufseher und Soldaten mochten es nicht, wenn man sie anblickte, und jeder Sklave lernte bald, in ihrer Gegenwart auf den Boden zu schauen und zu schweigen. Dieser hier hingegen guckte ihr einfach ins Gesicht, und seine Echse tat es ihm gleich.
    Sekunden verstrichen; nach zweihundertsiebenundachtzig von ihnen lösten sich ihre Blicke, und er trat an ihr vorbei und sah aus dem Fenster. Sein Freund rief etwas in ihrer fremden Sprache, aber er winkte nur ab.
    »Das Dorf dort. Ich sehe niemanden.«
    »Dorf?«
    »Dort«, erklärte er und zeigte zum Lager. »Wo sind die Bewohner?«
    »Arbeiten.«
    »Du bist nicht sehr gesprächig, hm?«
    »Verzeihung.«
    Sein Lächeln war freundlich, und er fuhr sich mit der Hand über die Haare. Da sie ihn anblicken durfte, sah Sinao, dass er nicht wie die Blassnasen aussah. Seine Haut war dunkler, und er hatte ein schmaleres Gesicht mit hohen Wangenknochen.
    »Du bist keine Dienerin«, stellte er fest, und jetzt verfinsterten sich seine Züge. Sofort senkte Sinao das Haupt. Tränen traten ihr in die Augen, denn sie fürchtete seinen Zorn.
    »Sieh mich an.«
    Unwillig gehorchte Sinao, hielt seinem forschenden Blick stand. Schließlich ließ er seine Augen wandern, über seinen Begleiter, den Raum und ihre Gestalt, und sie wandte sich ab.
    »Du bist eine Sklavin!«
    Sofort sprang sein Begleiter auf. Diesmal sprach auch er in der Zunge der Blassnasen: »Sklaven? Bei der Compagnie? Unfug!«
    »Sieh sie dir an, Pertiz. Und schau mal in das vorgebliche Dorf. Das ist kein Dorf – es ist ein Lager!«
    »Stimmt das?«, wollte der Kleinere der beiden wissen, und Sinao nickte langsam. Jetzt blickte sie doch auf, hob das Kinn trotzig empor.
    »Ja.«
    »Verfluchte Bastarde. Sklavenhalter. Ich hätte es wissen müssen. Für ein wenig mehr Profit würden sie alles tun, was?«
    »Euer Schiff … Ihr seid doch selbst Sklavenhändler«, rutschte es Sinao heraus. Die beiden starrten sie ungläubig an, dann lachte der Hochgewachsene.
    »Nein, sind wir nicht. Wir sind …«
    »Ihr seid keine Thayns und keine Händler«, fiel ihm Sinao ins Wort, die plötzlich zu verstehen glaubte. »Ihr seid etwas anderes!«
    Vielleicht sollte sie diese Männer fürchten, doch sie hatte keine Angst mehr für sie übrig. All ihre Furcht gehörte Tangye und den Aufsehern, den Soldaten und ihren Musketen, den Balken draußen an der Mauer und den Knuten.
    Aus einem plötzlichen Gedanken heraus, den sie selbst nicht erklären konnte, öffnete sie den Mund: »Helft uns«, bat sie die beiden Männer. »Bitte. Ihr müsst uns helfen.«
    Der groß gewachsene Mann sah sie an, voller Mitgefühl, wie es ihr schien. Er setzte an, um etwas zu sagen, doch mit einem Mal fauchte die Echse, und auf dem Gang ertönten Tangyes Schritte.
    Flehend blickte Sinao die beiden Fremden an, doch keiner der beiden sprach ein Wort.

FRANIGO

    Müßig betrachtete der Poet die schweren Vorhänge, die um das Bett herum drapiert waren. Bislang war ihm nicht aufgefallen, dass dort mythische Szenen aufgestickt waren; uralte Götter und Daemonen tanzten mit Menschen, und das beginnende Licht des Tages färbte die Fenster in einem sanften Rotton ein.
    Die Szenerie auf den Vorhängen erinnerte an eine Zeit, die längst vergangen war, als noch nicht einmal die Nigromantenkaiser den Kontinent beherrscht hatten, sondern andere, archaischere Kulte und Herrscher das Land in ihrem Griff hielten. Im letzten Jahrhundert hatte eine gewisse Idealisierung dieser Zeit eingesetzt, da sie den Nigromanten weichen musste und somit von vielen als Gegensatz zu den finsteren Herrschern gesehen wurde.
    Aber als Poet war Franigo Student der menschlichen Seele und ihrer Eigenarten, und er bezweifelte, dass jene Zeiten tatsächlich so edel und charmant ungezügelt gewesen waren, wie es die verklärten Legenden behaupteten.
    Dennoch erfreute er sich an den kunstvoll gestalteten Vorhängen, die seine neue Behausung nun schmückten. Zwar hatte er sich Geld leihen müssen, um die Wohnung zu mieten, doch einem aufstrebenden Günstling des Hofes wurde ein solcher Kredit gern gewährt.
    Nachlässig fuhr seine Hand über den Rücken der Frau neben ihm. Er genoss die Wärme ihres Körpers und das samtene

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