Sturmwelten 01
umso ausladender. Verwirrt blickte Roxane sich um. Die Sonne stand inzwischen gut eine Handbreit über dem Horizont; die Sicht war klar, am Himmel zogen nur einige weit entfernte Wolken entlang. Der Magier runzelte die Stirn, als er Roxanes erhobene Braue bemerkte.
»Halten Sie mich nicht für verschroben, Leutnant! Aber dieses Wetter macht mir ungemein zu schaffen. Die Seeluft schadet meinen Lungen; das ständige Salz zerfrisst sie. Ich bin für den Dienst an Bord nicht geschaffen.«
Darauf wusste Roxane erst einmal nichts zu sagen. Die Vehemenz seiner Rede überraschte sie. Seine Hände fuhren zur Unterstreichung seiner Worte durch die Luft, sein ganzes Wesen strahlte eine Abneigung gegen seinen gegenwärtigen Aufenthaltsort aus, die keinen Widerspruch duldete. Für einige laute Herzschläge standen sie sich sprachlos gegenüber, dann sackten die Schultern des Maestre herab.
»Verzeihung, Leutnant«, erklärte er resigniert und schlug die Augen nieder. »Dies ist weder der Ort noch die Zeit, um von meinen Unpässlichkeiten zu berichten. Ich kann die Frage in Ihren Augen sehen …«
»Frage?«, wiederholte Roxane.
»Wenn ich die See so hasse, warum tue ich dann Dienst auf einem Kriegsschiff? Das denken Sie doch, nicht wahr?«
»Nein, Thay, ich … nun ja, doch, das denke ich.«
»Ich will meinem Land und meiner Königin dienen, und die Marine ist die beste Möglichkeit, dies zu tun«, erklärte Groferton mit einem gewissen Stolz in der Stimme. »Wenn dies bedeutet, dass ich persönliches Ungemach auf mich nehmen muss, dann soll es so sein.«
Er straffte seine schmächtigen Schultern und schob angriffslustig das Kinn vor. Doch Roxane tat ihm nicht den Gefallen, ihm zu widersprechen: »Wir alle müssen Opfer bringen, Thay. Für Königin und Vaterland!«
Groferton verzog die Lippen, als ob ihm ihre kampflose Zustimmung missfalle, ehe er sagte: »Ich würde mich ja mittels des Arsanums vor so mancher Widrigkeit schützen, aber Caserdote Sellisher hat beim Kapitän erwirkt, dass ich die Vigoris nur nutzen darf, wenn es eine allgemeine Gefahrensituation gebietet.«
Die Stimme des Maestre troff vor Missachtung, als er fortfuhr: »Und wegen der religiösen Bedenken des Caserdote muss ich spüren, wie meine Lungen sich langsam in Salzlake verwandeln, obschon eine simple und vollkommen ungefährliche Anwendung meiner Talente mich schützen könnte.«
»Das ist … bedauerlich«, erwiderte Roxane und versuchte ihre Züge möglichst unbeteiligt zu halten.
»Bedauerlich ist ein rechter Euphemismus in meiner Lage, Leutnant«, ereiferte sich der Maestre, nur um durch seine Aufregung einen weiteren Hustenanfall zu erleiden. »Als wenn mein Siechtum und schleichender Tod wenig mehr als eine Unpässlichkeit wären!«
»Das würde ich nie …«
»Die Einheit hat uns mit der Gabe der Magie gesegnet! Gesegnet, sage ich! Es ist Unrecht, diese Gabe auf’s Hinterhältigste zu unterdrücken.«
»Ich bin sicher, der Caserdote hat seine Gründe, warum …«, begann Roxane, doch ein lautes »Ha!« des Maestre unterbrach sie. Unwillig schüttelte der kleine Mann den Kopf.
»Sicherlich hat er Gründe. Nur sind diese ohne Substanz, hohl, von abergläubischer Natur und gegen die Schriften Corbans.«
Diesmal schwieg Roxane wohlweislich, während Groferton von einem erneuten Hustenanfall geschüttelt wurde. Als er sich schließlich mit einem Taschentuch über den Mund wischte, warf er Roxane einen Blick aus den Augenwinkeln zu.
»Wie dem auch sei. Es war mir eine Freude, Sie kennenzulernen, Leutnant Hedyn.«
Die überraschende Milde in seiner Stimme ließ Roxane stutzen, aber während er sich abwandte, hörte sie ihn schon wieder bitter murmeln: »Jetzt tritt der Maestre ab, aber wenn sie ihn brauchen, dann muss er seine Kunststückchen machen. Wie ein Hund!«
»Es war mir ebenfalls eine Freude, Thay«, rief die junge Offizierin dem Magier hinterher, doch dieser gab nicht zu erkennen, ob er sie noch gehört hatte, bevor er gebückt unter Deck verschwand. Verstohlen blickte Roxane sich um, doch sowohl die Ruderwache als auch der Fähnrich am Stundenglas starrten starr geradeaus. Schnell legte Roxane die Hände auf den Rücken, hob das Kinn und blickte unbeteiligt zum Bug. Obwohl ihr die Begegnung mit dem Bordmagier weiterhin im Kopf umherging, erhellte sich ihr Gemüt ebenso, wie sich die See unter den Strahlen der aufgehenden Sonne erhellte.
Obgleich sie Schiff, Mannschaft und Kurs stets im Auge behielt, gab es auf ihrer Wache
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