Sturmwelten 02. Unter schwarzen Segeln
schüttelte langsam den Kopf.
»Nichts. Schon gut. Ich bin … einfach nur erschöpft. Sag, was du sagen wolltest.«
»Da ihr euch schon kennt, ist eine Vorstellung wohl unnütz. Ich dachte nur, dass du sie mal sehen willst, Jaq.«
»Ja, damit hast du recht. Wie geht es dir, Sinao?«
Noch immer machte das Mädchen den Mund nicht auf, sondern blickte ihn nur aus diesen Augen an, hinter denen es zu brodeln schien. Als enthalte dieser schmale, ausgemergelte
Leib mehr widerstreitende Gefühle als eine ganze Schiffsbesatzung. Langsam, vorsichtig, als müsse sie es neu lernen, öffnete sie schließlich den Mund und antwortete mit heiserer Stimme: »Ihr seid gekommen. Du und deine Leute, obwohl ich nicht mehr daran geglaubt hatte. Ich schätze, ich muss dir danken.«
»Nein. Nein, das musst du nicht. Es hätte beinahe eine Katastrophe gegeben, an der ich die Schuld getragen hätte. Viele sind tot. Ich habe nur mein Wort gehalten. Und ihr auch.«
»Viele sind tot«, wiederholte sie tonlos. Plötzlich erkannte Jaquento, dass sie kurz davor war, zusammenzubrechen. Ihre dünnen Finger spielten mit dem Stoff ihres Hemdes, und mehr als einmal kratzen ihre Nägel über ihre Haut. Verwirrt blickte er zu Manoel.
»Ist alles in Ordnung? Du hast gesagt …«
»Ja, mach dir keine Sorgen, Jaq. Wir kümmern uns um alles.«
Dieses Mädchen mit dem wilden Haar hatte auf der Sklaveninsel der Compagnie einen magischen Sturm entfesselt, den die Maestre und Caserdote selbst noch auf den Schiffen hatten spüren können. Und jetzt kochten in ihr Gefühle, die Jaquento nur erahnen konnte. Er wollte sich gar nicht vorstellen, was passieren würde, wenn sich ein solcher Ausbruch in der beengten Umgebung der Windreiter ereignen würde.
»Wir kümmern uns um alles«, bekräftigte Manoel noch einmal. »Bihrâd und ich helfen ihr.«
Da er selbst nur wenig über die verschlungenen Pfade des Arsanums wusste, musste Jaquento seinem Maestre in dieser Angelegenheit vertrauen. Mit ruhigen Bewegungen, mit denen man sich auch einem wilden Tier nähern würde, trat er an Sinao heran. Endlose Augenblicke lang sahen sie einander nur an.
»Was ist dort geschehen?«, fragte er leise. »Was hast du auf der Insel erlebt?«
»Wir haben sie getötet«, erwiderte sie kalt. »Wir haben Tangye erschlagen und vom Turm geworfen. Seine Soldaten, die Aufseher. Wir haben sie alle getötet.«
Ihr Gesicht war trotzig, und sie schlang die Arme um den Leib.
»Jeden, den wir finden konnten. Unsere Krieger haben sie erschlagen wie Tiere, weil sie feige Hunde waren.«
»Das ist aber nicht alles«, stellte Jaquento ruhig fest. Ihre Maske bekam Brüche, als ihr Tränen in die Augen traten. Einen Moment lang war sie gefasst, dann brach es aus ihr heraus. Die Tränen liefen ihr über die Wangen, helle Streifen auf ihrer dunklen Haut.
»Sie haben ihn getötet. Ihn und andere. Alle tot. Er ist noch gelaufen. Ich dachte nicht … Ich wusste doch nicht …«
Ihr ganzer Körper bebte wie unter Krämpfen, und sie bekam kaum Luft. Sanft legte Jaquento einen Arm um sie und versuchte, dabei nicht an magische Entladungen zu denken.
»Majagua ist tot«, schluchzte sie, immer und immer wieder.
Der junge Hiscadi konnte ihre grenzenlose Trauer verstehen. Sie alle hatten auf der Insel etwas verloren, jeder Einzelne von ihnen.
ROXANE
»… und der Kurs wird gehalten«, beendete Tola ihren Bericht, woraufhin Roxane salutierte. Beinahe hätte sie stolz gelächelt, doch Tola war kein einfacher Fähnrich mehr, sondern verrichtete ihren Dienst an Bord als kommissarischer Leutnant. Und Roxane war in diesem Moment Kapitänin der Fregatte Mantikor und hatte die Meldung der jungen Frau wie die jedes anderen Offiziers entgegenzunehmen, der unter ihrem Kommando stand.
»Danke, Leutnant.«
Trotz der katastrophalen Bedingungen an Bord hatte sich Tola gut in ihre neuen Aufgaben eingefunden. Die gesamte Besatzung zeigte eine Moral, die Roxane ihr nach all den furchtbaren Erlebnissen der jüngsten Vergangenheit niemals zugetraut hätte, aber es war vor allem Tola Levman, die ungeachtet ihrer Jugend weite Teile der Organisation übernommen hatte.
Selbstverständlich musste Roxane sich persönlich um viele Angelegenheiten kümmern, da ihr einfach die Offiziere fehlten, die ansonsten mit diesen Aufgaben betraut gewesen wären. Das Prisenkommando auf der Luchs belastete ihre Ressourcen noch weiter. Zudem hatte sie sich entschlossen, die Besatzung in ihrer Gesamtheit nicht aus den Augen zu lassen.
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