Sudelbücher: Ausgesucht feine Texte mit Biss (German Edition)
zerstört werden würden. [A 112]
Es ist eine richtige Beobachtung, wenn [man] sagt, dass Leute, die zu stark nachahmen, ihre eigene Erfindungskraft schwächen. Dieses ist die Ursache des Verfalls der italienischen Baukunst, wer nachahmt und die Gründe der Nachahmung nicht einsieht, fehlt gemeiniglich, sobald ihn die Hand verlässt, die ihn führte. [A 113]
Vielleicht ist ein Gedanke der Grund aller Bewegung in der Welt, und die Philosophen, welche gelehrt haben, dass die Welt ein Tier sei, sind vielleicht durch diesen Weg darauf gekommen, sie haben sich vielleicht nur nicht so eigentlich ausgedruckt, wie sie vielleicht hätten tun sollen. Unsere ganze Welt ist nichts als die Wirkung eines Gedankens von Gott auf die Materie. [A 114]
Den 5 ten Novembris 1769.
Die Welt ist ein allen Menschen gemeiner Körper, Veränderungen in ihr bringen Veränderung in der Seele aller Menschen vor, die just diesem Teil zugekehrt sind. [A 115]
Träume führen uns oft in Umstände und Begebenheiten hinein, in die wir wachend nicht leicht hätten können verwickelt werden, oder lassen uns Unbequemlichkeiten fühlen, welche wir vielleicht als klein in der Ferne verachtet hätten, und eben dadurch mit der Zeit in dieselben verwickelt worden wären. Ein Traum ändert daher oft unsern Entschluss, sichert unsern moralischen Fond besser als alle Lehren, die durch einen Umweg ins Herz gehen. [A 116]
Nicht da sein heißt bei den Naturforschern, wenigstens bei einer gewissen Klasse, so viel als nicht empfunden werden. [A 118]
Für das Künftige sorgen, muss bei Geschöpfen, die das Künftige nicht kennen, sonderbare Einschränkungen leiden. Sich auf sehr viele Fälle zugleich schicken, wovon oft eine Art die andern zum Teil aufheben muss, kann von einer vernünftigen Gleichgültigkeit gegen das Zukünftige wenig unterschieden sein. [A 119]
Mit einem erstaunenden Vergnügen finde ich in des Herrn Lavaters Aussichten in die Ewigkeit T. I. p. 143 seq., dass er vor dem Schlaf ähnliche Empfindungen mit mir hat, ich habe jahrelang vorher, ehe dieses Buch erschien, schon Herrn Ljungberg die Eröffnung getan, ja als ich noch auf Schulen war, habe ich meinem Freund Herrn Esswein schon etwas davon gesagt, aber nie gehört, dass er oder Herr Ljungberg jemals etwas Ähnliches empfunden, meine Betrachtungen in diesem Zustand gehen gemeiniglich auf den Tod, oder die Seele überhaupt, und das was Empfindung ist, und endigen sich in einer Bewunderung der Einrichtung des Menschen, alles ist mehr Gefühl als Reflexion und unbeschreiblich. [A 120]
Es gibt Grade des Verlierens, ein Ding in keiner einzigen gegebenen Zeit wiederfinden können, heißt dieses Ding verloren haben, zuweilen lässt sich aus den Umständen nicht schließen, ob diese Zeit unendlich werden wird oder nicht, wird aber oft endlich befunden. Man kann etwas wirklich verloren haben, wenn man auch gleich weiß, dass man es nach einer halben Stunde Fleiß wiederfinden könnte. [A 122]
Den 25. Februarii 1770.
Was man sieht, tut oder liest, suche man immer auf den Grad der Deutlichkeit zurückzubringen, dass wir wenigstens die gemeinsten Einwürfe dagegen beantworten können, alsdann lässt es sich zu dem errichteten Fond unserer Wissenschaft schlagen. Kein streitiges Vermögen muss je darunter gerechnet werden. Will sich etwas allgemein Angenommenes nicht mit unserem System vereinigen, so fehlen uns vielleicht noch Grundideen, und Erlernung solcher ist ein großer Gewinn. [A 124]
Es donnert, heult, brüllt, zischt, pfeift, braust, saust, summet, brummet, rumpelt, quäkt, ächzt, singt, rappelt, prasselt, knallt, rasselt, knistert, klappert, knurret, poltert, winselt, wimmert, rauscht, murmelt, kracht, gluckset, röchelt, klingelt, bläset, schnarcht, klatscht, lispeln, keuchen, es kocht, schreien, weinen, schluchzen, krächzen, stottern, lallen, girren, hauchen, klirren, blöken, wiehern, schnarren, scharren, sprudeln. Diese Wörter und noch andere, welche Töne ausdrücken, sind nicht bloße Zeichen, sondern eine Art von Bilderschrift für das Ohr. [A 125]
Menschliche Philosophie überhaupt ist die Philosophie eines einzelnen gewissen Menschen, durch die Philosophie der andern, selbst der Narren korrigiert und dieses nach den Regeln einer vernünftigen Schätzung der Grade der Wahrscheinlichkeit. Sätze, worüber alle Menschen übereinkommen, sind wahr, sind sie nicht wahr, so haben wir gar keine Wahrheit. Andere Sätze für wahr zu halten zwingt uns oft die Versicherung
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