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Süden und die Stimme der Angst: Roman (German Edition)

Süden und die Stimme der Angst: Roman (German Edition)

Titel: Süden und die Stimme der Angst: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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schwachsinnigen Träumen gequält. Aus dem Schlaf gespuckt wie ein Stück faules Obst.
    Der Anblick hastig essender Menschen widerte ihn an. Wie sie in ihre Äpfel beißen! Wie sie ihre Bananen mampfen! Als würden sie geil davon! Wie sie ihre Semmeln kauen! Und die Backen blähen! Ich muss hier weg, ich muss hier raus!
    »Excuse me«, sagte er aus Versehen. Jemand machte Platz. Und er eilte die Treppe hinauf. Berührte feuchte Ärmel. Rauhe Mäntel. Knisternde Jacken. Er entschuldigte sich nicht. Er hatte einen Druck im Kopf. Ein mäanderndes Brummen. Vor dem Geruch nasser Kleidung grauste ihm. Im Tiefparterre, wo sich Geschäfte, Fahrkartenschalter und sanitäre Anlagen befanden, sah er im Vorübergehen sein Gesicht im Spiegel eines Fotoautomaten. Ruckartig blieb er stehen.
    Ich?
    Gelbe Augäpfel. Rissige Wangen. Geplatzte Äderchen. Dünne grauschwarze Haare. Fäden über den Ohren. Äderchen und Fäderchen. Ausgelaugt. Dicke Lippen. Wie geschwollen. Bartstoppeln. Keine Kanten. Teigiger Teint. Durchschnitt. Neununddreißig Jahre alter gescheiterter Durchschnitt auf zwei Beinen.
    »Hallo.«
    Hallo, sah er den Mund im Spiegel sagen. Er streckte dem Spiegelbild die Zunge raus. Die weiß geteerte Zunge. Ich muss hier weg, ich muss hier raus.
    Klingen die Stimmen in allen Bahnhofshallen der Welt gleich? Hm? Oder klingen sie bloß gleich in dieser Stadt?
    Schilff blickte zu den Gleisen. Einige Züge sehen neu aus. Andere kenn ich von früher. Die Uniformen der Angestellten haben sich geändert. Ihr Verhalten nicht.
    »Sie können da raus oder da, das ist völlig gleich.«
    »Ich muss in die Lämmerstraße.«
    »Ich bin für Züge zuständig.«
    Kinder rannten durch die Halle. Asiaten, Afrikaner, Türken, Einheimische. Polizisten patrouillierten mit Schäferhunden. Imbissverkäufer in weißen Kitteln bedienten mienenlos ihre Kunden. Schilff hatte Hunger. Und einen trockenen Mund. Und ein Kratzen im Hals.
    An einem Stand kaufte er eine Dose Bier. Und trank sie sofort aus. »Noch eine bitte.«
    Er trank die zweite Dose. Und ging weiter. Folgte zwei Mädchen, die sich untergehakt hatten und einander aufregende Dinge erzählten. Ununterbrochen stießen sie ein grelles »Echt?« aus. Sie waren etwa vierzehn Jahre alt. Und bewegten sich selbstbewusst. Und elegant.
    Schilff lief hinter ihnen her. Als wiesen sie ihm den Weg aus dem Gewühl. Und dem Krach. Und dem Labyrinth der Gesichter, die wie ein Karussell um ihn herumsausten.
    Dann waren die Mädchen verschwunden.
    Er hatte nicht aufgepasst.
    Vor ihm war eine Glaswand mit Türen. Dahinter ein Bistro. In der Mitte ein Tresen rund um die Küche. Tische. Wo waren die Mädchen?
    Er schaute sich um. Vielleicht waren sie in den Durchgang neben dem Lebensmittelladen abgebogen. Oder sie hatten beschlossen, in die Buchhandlung auf der anderen Seite zu gehen. Fast hätte er nachgesehen.
    Er warf die leere Bierdose in den Abfalleimer. Und stieß eine der Glastüren auf.
    Abgestandene, ölige Luft. Und Zigarettenrauch. Er verzog das Gesicht. Aus den Lautsprechern erklangen die ersten Takte eines Liedes, das er kannte.
    Und in derselben Sekunde bemerkte er am Tresen eine Frau. Sie trug eine schwarze Sonnenbrille. Saß da. Vor einem Glas Wein.
    Niklas Schilff stellte den Koffer ab. Etwas an der Frau verbot ihm weiterzugehen. Leicht, als würde sie es gar nicht bemerken, öffnete sich ihr Mund. Dann schob sie das Glas beiseite. Und faltete die Hände auf dem Tresen.
    Die Sängerin setzte ein. Es war unübersehbar, dass die Frau auf jedes Wort hörte. Dass sie den Song ebenso gut kannte wie er.
    Doch anders als bei ihm schien das Lied bei ihr eine Art Lähmung auszulösen. Und ein Schaudern. Die Frau atmete mit weit offenem Mund. Als würde die Melodie ihr die Kehle zuschnüren.

    A long long time ago I can still remember
    how that music makes me smile.
    And I knew if I had my chance
    I could make those people dance …

4
    In the streets the children screamed,
    the lovers cried and the poets dreamed …

    Er wollte aufhören, sie anzustarren. Er spürte die Blicke der anderen Gäste. Es waren nicht viele. Alle saßen allein an ihrem Tisch.

    But not a word was spoken,
    the church bells all were broken …

    Dann blieb die Bedienung demonstrativ vor ihm stehen. »Darf ich vorbei, ja?«
    Schilff reagierte nicht.
    Sie zog die Augenbrauen hoch. Und sah ihm ins Gesicht. »Wenn Sie betrunken sind, haben Sie hier nichts zu suchen.«
    »Ich bin nicht betrunken«, sagte Schilff, ohne den Blick

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