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Sünden der Nacht

Sünden der Nacht

Titel: Sünden der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tami Hoag
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Hände aus Pappe dekorierten die Wand hinter dem Podium im vorderen Teil des Raumes. Auf jede war der Eid des 4-H-Landwirtschaftsclubs mit Buntstift gekritzelt und jedes dieser makabren Meisterwerke war vom Künstler signiert und mit ihrem oder seinem Alter versehen.
    Das Zimmer wimmelte von Reportern, Fotografen und Kameramännern von Zeitungen, Rundfunk- und Fernsehstationen im ganzen Staat. Ein Fotograf vertrieb sich die Zeit damit, aus einem Meter Entfernung künstlerische Aufnahmen der Papphände zu machen. Ein Fernsehreporter stand an einer anderen Wand neben einer Wandplakette mit den Knoten der Pfadfinder, sah mit ernster Miene in die Linse seiner Videokamera und schleimte Platitüden über Norman-Rockwell-Städte und erzamerikanischen Familiensinn.
    Die Reihen derer, die gekommen waren, um die Tragödie zu dokumentieren, würden stetig wachsen, solange die Suche andauerte. Zumindest in den nächsten acht Tagen – sollte sie solange dauern.
    Während die Fahndung ihren Höhepunkt erreichte, würden sie ihnen ständig im Weg sein, nach einem Wurf suchen, einem Exklusivbericht, etwas, was kein anderer hatte.
    Verfluchte Parasiten, dachte Mitch, als er sich mit grimmiger Miene durch die Phalanx von Reportern drängte und bellend ihre Fragen abwehrte.
    Im vorderen Teil des Raumes überwachte Megan die
    Vorbereitungen zu einer Pressekonferenz, die Aufstellung eines Podiums, einer Leinwand und eines Projektors. Ihr kleiner Mund war nur noch ein schmaler Strich, und sie kanzelte jeden Reporter ab, der sich zu nahe heranwagte.
    »Zum neunundsechzigsten Mal, Mr. Forster, die Pressekon-143
    ferenz wird nicht vor neun Uhr beginnen«, sagte sie in scharfem Ton. »Unsere vordringlichste Aufgabe ist es, Josh Kirkwood zu finden. Falls er noch in der Nähe ist, heißt das, wir müssen diese Leute organisieren und die Suche wiederaufnehmen.«
    Henry Forster, Reporter der Star Tribune seit den Tagen des Linotype, hatte das Gesicht einer Bulldogge, eine Halbglatze voller Leberflecken und lange, dünne graue Haare, die er sich sorgfältig über die kahle Stelle gekämmt hatte. Sein
    Markenzeichen, eine dreckige Bifokalbrille, saß schief unter den buschigen Augenbrauen, die eine eigene Postleitzahl verdienten.
    Er war ein altes Schlachtroß mit Hüften, die sich im Alter ausgedehnt hatten und eine gute Stütze für seinen
    medizinballgroßen Bauch bildeten. Megan schätzte, daß er wohl in seinen braunen Hosen und dem billigen weißen Hemd
    geschlafen hatte; aber wie sie aus früheren Ermittlungen wußte, sah Henry immer so ungepflegt aus.
    Die Augenbrauen kletterten die Stirn hoch. »Heißt das, daß Sie glauben, der Junge wurde von hier weggebracht?«
    Zwei seiner Vasallen horchten auf und krochen von der Wand weg, wie Ratten, die sich vorwagen, um an ein paar
    vielversprechenden Krümeln zu schnuppern.
    Megan bremste sie mit einem Blick, der einem Laser alle Ehre gemacht hätte. Sie wandte sich an Henry, der so nahe war, daß die Dämpfe seines Old Spice ihr Naseninneres versengten. Er wich nicht zurück und starrte sie an, als erwarte er tatsächlich eine Antwort.
    Selbstverständlich tut er das, dachte Meg. Forster war einer der Senioren seines Gewerbes und sein Büro übersät mit Auszeichnungen, die er angeblich als Briefbeschwerer und Aschenbecher benutzte. Politiker zogen die Köpfe ein, wenn sein Name fiel. Die Chefetage des BCA verfluchte den Tag, an dem er das Licht der Welt erblickt hatte – einer der
    ursprünglichen sieben. Henry Forster war der Mann gewesen, 144
    der letzten Herbst die Anklagen wegen sexueller Belästigung im Bureau aufgedeckt hatte. Er war der letzte, den Megan auf den Fersen haben wollte. Der Druck, unter dem sie bei diesem Fall standen, war unerträglich genug, auch ohne daß Henrys
    Hornbrille jeden ihrer Schritte registrierte.
    Zeig keine Angst, O’Malley. Er kann Angst riechen – trotz seines Rasierwassers.
    »Das heißt, daß Officer Noga Sie aus diesem Zimmer
    begleiten wird, wenn Sie weiterhin im Weg stehen«, sagte sie, ohne mit der Wimper zu zucken.
    Sie wandte Forster, der erbost schnaubte, den Rücken zu.
    Einer der anderen Reporter, der in der Hoffnung auf einen Brotsamen sich in seinen beachtlichen Schatten geduckt hatte, giftete: »Kleines Luder.«
    Megan fragte sich, ob sie auch wagen würden, hinter Nogas breitem Rücken solche Beleidigungen zu äußern. Sie packte den Streifenpolizisten am Ärmel, und er sah hinunter zu ihr, seine dunklen Augen waren rot und

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