Tacheles
uns etwas, das wir noch nicht wissen“, entgegnete Cerny knapp.
„Na, mehr kann ich Ihnen erst sagen, wenn ich ihn auf der Pathologie genau untersucht habe. Aber so wie das da ausschaut, wurde keine Tatwaffe verwendet. Da waren nur Hände und Füße am Werk, würde ich sagen.“
„Brauchen wir ihn noch?“, fragte Bronstein in die Runde, „Beweisaufnahme abgeschlossen? Gut, dann in die Gerichtsmedizin mit ihm, Sie können ihn gleich mitnehmen.“ In die Uniformierten kam Bewegung, während Bronstein und Cerny sich anschickten, die einzelnen Hausparteien zu befragen, ob sie etwas gehört oder gar gesehen hatten. In diesem Augenblick wurde beiden bewusst, dass wohl sie es waren, die nun der Familie die schlimme Nachricht überbringen mussten.
Getragenen Schrittes nahmen Bronstein und Cerny die Treppe in Angriff. Instinktiv wollten beide den Moment hinauszögern, in dem sie die junge Witwe mit der fürchterlichenWahrheit konfrontieren mussten. Viel zu schnell waren die Stufen zu Ende, und die beiden Polizisten standen vor der großen, dunklen Wohnungstür, an der sich ein erstaunlich unscheinbares Messingschild befand, auf dem nur der Name „Demand“ zu lesen war. Cerny sah Bronstein kurz an, atmete dann durch und klopfte an.
Dass es sich bei der schüchternen kleinen Frau in schwarzweißer Dienstbotentracht um die Zugehfrau handeln musste, war offensichtlich, und so fragte Bronstein: „Ist die Hausherrin zugegen?“
Die Bedienstete wollte wohl fragen, wen sie melden dürfe, doch als ihr Cerny seine Marke entgegenhielt, da nickte sie nur und meinte, sie werde die gnädige Frau sogleich holen.
Bronstein blieb trotz seiner fünfzig Jahre die Luft weg. Er konnte sich nicht erinnern, wann er zuletzt einem derart schönen Wesen begegnet sein mochte. Sofort fiel ihm das wallend lange kastanienbraune Haar auf, das die Schultern der jungen Frau sanft umschmeichelte. Ihr anmutiges Gesicht wurde von ungemein ausdrucksstarken und großen Augen geprägt, die Bronstein unwillkürlich an jene eines scheuen Rehs erinnerten, wiewohl er nicht zu sagen gewusst hätte, jemals einem Reh begegnet zu sein. Die Frau trug ein eher konventionell geschnittenes Kleid, das ihre wespenähnliche Taille ebenso betonte wie ihren ansprechenden Busen, der bei Bronstein ähnlich kitschige Assoziationen hervorrief wie die Augen der Witwe. Er ertappte sich dabei, wie sein Gehirn Wortketten à la „formvollendete, apfelförmige, feste Brüste“ bildete, und er benötigte geraume Zeit, um sich angesichts dieses Anblicks wieder halbwegs in den Griff zu bekommen.
Die Witwe, die noch nicht wusste, dass sie eine solche war, trat ganz nah an die beiden Beamten heran und blickte sie mit diesen wunderschönen dunklen Augen an, sodass Bronstein abermals verlegen wurde.
„Die Herren wünschen mich zu sprechen? Womit kann ich Ihnen dienen?“
Die Frau war nicht nur atemberaubend schön, sie besaß auch noch eine anheimelnde, wohlklingende Stimme, die Bronstein endgültig zu verzaubern schien. Cerny wartete einen Augenblick, ob der Ranghöhere etwas entgegnen wollte, doch der stand nur dämlich da und starrte unverwandt auf die junge nunmehrige Witwe.
„Frau Demand?“ vergewisserte sich Cerny schließlich.
„Ja.“
„Wir sind Oberst Bronstein und Major Cerny vom Morddezernat. Es tut uns aufrichtig leid, Ihnen mitteilen zu müssen, dass Ihr Mann offensichtlich einem Verbrechen zum Opfer gefallen ist. Vielleicht dürften wir hereinkommen?“
Die Frau erbleichte trotz ihres ohnehin schon blassen Teints und rang sichtbar um Fassung. Sie benötigte geraume Zeit, um die Bedeutung der Worte des Majors vollinhaltlich zu erfassen, dann erst trat sie einen Schritt zurück und bat die beiden Beamten in die Wohnung. „Folgen Sie mir bitte in den Salon“, sagte sie mit belegter Stimme.
Bronstein und Cerny taten, wie ihnen geheißen.
„So nehmen Sie doch Platz, kann ich Ihnen etwas anbieten? Kaffee? Tee? Ein Stück Gugelhupf?“
„Kaffee wäre gerade recht“, antwortete Cerny für beide, während er sich setzte. Die junge Demand gab die Information an die Hausgehilfin weiter, ehe sie sich selbst schwerfällig niedersetzte.
Cerny hatte Derartiges schon oft erlebt. In einem solchen Moment agierten die Menschen wie in Trance, sie weigerten sich, der Nachricht Glauben zu schenken, wähnten sich in einem Traum, aus dem sie sicherlich alsbald aufwachen würden. Ohne Zweifel traf dies nun auch auf Frau Demand zu.
„Wie ist das nur möglich?“, brachte
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