Die Bruderschaft Christi
P rolog
Das Heilige Land am Ende des Tages …
Die Feuer an den Lagerstätten waren erloschen. Die Dunkelheit senkte sich über das staubige Land. Auf dem Hügel von Golgatha kehrte Ruhe ein. Die Menschen hatten sich davongemacht, waren verschwunden in dem undurchsichtigen Wirrwarr aus Gassen und verschlungen Pfaden der nahen Stadt. Soldaten bezogen ihre Posten und blickten argwöhnisch in den sich verdunkelnden Himmel, und dort, wo sich vor Stunden noch die Menschen dicht an dicht aneinanderdrängten, um das grausame Schauspiel zu verfolgen, herrschte eine düstere Leere. Nur hier und da gingen noch ein paar Versprengte ihres Weges, die verstohlene Blicke den drei Kreuzen zuwarfen, die oben auf den Hügeln von Golgatha standen.
Unweit des Hügels, dicht neben der Garnison, hatten Legionäre ihre Zelte aufgebaut. Zusätzliche Einheiten aus den umliegenden Regionen, zur Sicherheit herbeigerufen von Pontius Pilatus, dem Statthalter Jerusalems.
Der Nazarener war tot. Gekreuzigt unter den Augen des Volkes, und nichts war geschehen. Als der Legionär mit dem Speer seine Seite geöffnet hatte, war Blut daraus hervorgequollen. Rotes, dickes Blut. Und keine mit Schwertern bewehrte Engelsschar war vom Himmel herabgestiegen, kein Sturm hatte getobt, keine Sintflut war über das Land hereingebrochen. Nur einmal, kurz bevor der Nazarener seinen letzten Atemzug aushauchte, hatte eine schwarze Wolke den Himmel verdunkelt, und der Hügel von Golgatha wurde in ein totenbleiches Licht getaucht. Doch die Wolke hatte sich verzogen, war von dem leichten Wind davongetragen worden.
Niemand würde es wagen, dem Imperium zu trotzen. Niemand, auch der selbst ernannte Gott der Juden nicht.
»Es ist vollbracht«, seufzte Pontius Pilatus. »Und das Volk blieb ruhig. Deine Sorge war umsonst.«
Marcus Aurelius, der Kommandant der Schutztruppen, leerte seinen Becher Wein.
»Er war uns zu Lebzeiten gefährlich«, antwortete Marcus Aurelius, »und er wird es bis über seinen Tod hinaus sein. Der Nazarener hat eine große Schar um sich versammelt. Und sein Tod wird daran nichts ändern. Sie werden seinen Leib verehren und seine Gedanken weiter in sich tragen.«
»Es sei denn«, antwortete Pontius Pilatus, »sie haben nichts mehr, was sie verehren können.«
»Wie meinst du das?«
»Man wird der Mutter des Nazareners die Herausgabe des Leichnams verweigern. Er wird nicht in der Erde Jerusalems ruhen. Man wird ihn vom Kreuze abnehmen und verbrennen, und seine Asche wird in alle Winde verstreut werden. Das sind meine Befehle.«
Marcus Aurelius schaute den Statthalter Jerusalems verwundert an. »Die Juden werden es dir nie verzeihen, es ist Tradition …«
»Ich pfeife auf die Tradition«, herrschte Pontius Pilatus den Legionskommandanten an. »Sein Staub wird in alle Winde verstreut, und seine Gedanken werden die Zeit nicht überdauern. Man wird ihn vergessen, und nichts und niemand soll an den Nazarener erinnern.«
Marcus Aurelius blickte Pontius Pilatus nachdenklich ins Gesicht. »Du hattest Angst, du bist der römische Statthalter, dir unterstehen zwei Legionen, aber du hattest Angst. Angst vor einem einzigen Mann, der noch nicht einmal des Kämpfens mächtig war. Ja, bei Jupiter, ich sehe dir deine Angst noch immer an. Obwohl du dich gelassen gibst, zitterst du noch immer, wie ein Weib. Ich sehe es, und ich rieche es. Bei allen Göttern, er hat dir die Furcht in deine Knochen gejagt …«
»Schweig!«, herrschte Pontius Pilatus den Kommandanten an. »Man merkt, dass dir die vielen Schlachten und Gemetzel zu Kopf gestiegen sind und deinen Verstand trüben. Als Mann des Schwertes wirst du nie verstehen, welche Macht das Wort besitzt. Erinnere dich, als er in die Stadt kam. Tausende waren auf den Beinen und haben ihm zugejubelt. Nur ein Zeichen von ihm hätte genügt, und die Stadt wäre im Blut versunken. Es hätte unser Blut sein können, das an diesem Tag in den Staub gesickert wäre.«
»Du bewunderst diesen Mann, diesen einfachen Zimmermannssohn aus Nazaret«, antwortete Marcus Aurelius.
Pontius Pilatus ließ sich auf einer Liege nieder. »Ja, er war mehr als nur ein einfacher Mensch, er war ein besonderer Mann, ein ganz besonderer Mann, wie es nur ganz wenige unter der heißen Sonne gibt. Und er hatte etwas, das wir längst verloren haben.«
Marcus Aurelius beugte sich zu dem Statthalter hinab. »So, was ist es denn, das ihn über die anderen erhoben hat und wir nicht besitzen?«
»Er hatte einen Glauben«, antwortete
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