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Tagebücher der Henker von Paris

Tagebücher der Henker von Paris

Titel: Tagebücher der Henker von Paris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henri Sanson
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verlieren jeden Augenblick fürchten muß. Außerdem wage ich für meine Person nicht, etwas anderes zu lieben als einige Tiere, Gefährten meiner Einsamkeit, denen ich – man verzeihe mir diese Empfindsamkeit – eine um so zärtlichere Sorgfalt widme, als ich mein Gewissen darüber zu beschwichtigen suchte, den Schrei der Menschlichkeit erstickt zu haben, wenn es sich um meine Nebenmenschen handelte.
    Eitle Vorsicht unserer ärmlichen Weisheit! Gerade in dieser Zurückgezogenheit, wo ich allem, selbst meinen Erinnerungen entfliehen wollte, gerade hier fühle ich sie wieder aufleben und mich mit ihrem ganzen Gewicht niederdrücken! Hier nun, als sechzigjähriger Mann, des Lebens müde, dessen Süßigkeiten ich nie ohne Beimischung von Bitterkeit gekannt, habe ich der sonderbarsten und dennoch so naheliegenden Versuchung, die sich meines Geistes bemächtigen konnte, nachgegeben:
    Ich rief mir die Reihe von Ahnen ins Gedächtnis, unter welchen selbst ein Kind von sieben Jahren nicht hatte Gnade finden können. Mein Urgroßvater, Karl Johann Baptiste Sanson, geboren zu Paris am 19. April 1719, folgte seinem Vater am 2. Oktober 1726 im Amte, und da es nicht möglich war, daß ein Kind in solchem Alter persönlich das furchtbare Amt vollziehe, zu dem es berufen war, so gab ihm das Parlament einen Stellvertreter namens Prudhomme; ausdrücklich wurde aber dabei bestimmt, daß es den Hinrichtungen beizuwohnen habe; durch seine Anwesenheit wurde der Akt erst gesetzlich bestätigt. Ist diese Minderjährigkeit und diese Regentschaft in der Geschichte des Schafotts nicht ein der Betrachtung werter Gegenstand?
    Ich dachte an meinen Großvater, der zu jener Zeit, für die das Wort »Schrecken« ein viel zu sanfter Ausdruck zu sein scheint, gezwungen war, das bluttriefende Beil an die edelsten wie an die strafbarsten Häupter zu legen, ohne daß ihm jener Abscheu vor dem Verbrechen oder jene Verachtung des Opfers verblieben wäre, welche in mir nie den Schrei des Herzens zu ersticken vermochten.
    Indem ich die sonderbaren Jahrbücher, die ich selbst fortgeführt und welche mit der
Chambre ardente
beginnen, um über die Saturnalien der Regentschaft und der Regierung Ludwigs XV. hinweg bis zur Revolution und endlich bis zu unserem Jahrhundert zu gelangen, eifrig studierte und in denselben einem Durcheinander der berühmtesten und verachtetsten Namen begegnete, fragte ich mich, ob hier nicht die Elemente zu einem Buche vorhanden seien und ob die Sorgfalt, es zu schreiben, nicht die beste Verwendung sei, die ich von den Tagen meines Alters machen könnte.
    Gott behüte mich vor dem Gedanken, daß ich, wie andere glauben konnten, je die Absicht gehabt hätte, der Guillotine eine Schutzrede zu halten oder die Rehabilitierung des Scharfrichters zu versuchen! Eher wäre meine Hand vertrocknet, als daß sie ein Werk versucht hätte, welches meiner innersten Überzeugung zuwiderläuft.
    Der Grund, der mich mit der Feder bewaffnete, ist die große zur Zeit vor dem Gerichtshofe der Zivilisation anhängige Sache, zugunsten derer so viele beredte Stimmen seit Montesquieu, Beccaria, Filangieri bis auf Viktor Hugo sich haben hören lassen, um die Abschaffung jener unversöhnlichen Züchtigung zu verlangen, deren leibhaftige Personifizierung zu sein ich das Unglück gehabt.
    Wenn man mich fragen wollte, wie ich mit derartigen Gefühlen so lange Zeit die mir erblich zugefallenen Dienstverrichtungen habe fortsetzen können, so habe ich einfach zu erwidern: »Man darf nur den Blick auf die Bedingungen meiner Geburt richten.«
    Das Schwert des Gesetzes hat sich in meiner Familie fortgeerbt wie der Degen bei den Edelleuten, wie das Zepter bei den königlichen Geschlechtern: konnte ich mir ein anderes Dasein erwählen, ohne hierdurch das Andenken meiner Ahnen zu verleugnen und das Alter meines an dem gemeinschaftlichen Herd sitzenden Vaters zu beschimpfen? Durch heilige Pflichten an den Block und an das Beil geschmiedet, mußte ich die traurige Aufgabe vollziehen, welche mir meine Geburt auferlegte. Aber inmitten meiner Laufbahn, der einzige Sprößling dieser Art einer Scharfrichterdynastie, habe ich dennoch mit Freuden dem Purpur des Schafotts und dem Zepter des Todes entsagt. Möchte es mir noch vergönnt sein, eine Strafe aus unseren Institutionen verschwinden zu sehen, deren Anwendung schon jetzt immer seltener wird, die sich inmitten der Zivilisation wie das letzte Überbleibsel menschlicher Barbarei ausnimmt! Möchten in nicht langer Zeit die

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