talon009
„Woher, sagten Sie, haben Sie den Stein?“
Vanderbuildt wandte seinen Kopf und sah die junge Frau an, die sich lässig gegen die schwere Schreibtischplatte aus Plexiglas lehnte. Janet Verhooven war seit gestern wieder in Kapstadt und hatte sich noch einen Tag von den Strapazen der Reise nach Zentralafrika erholt, bevor sie ihrem Chef Bericht erstatten musste.
Sie trug ein knappes Kleid, das um die Taille von einem breiten Gürtel gerafft wurde und darüber eine dünne Blazerjacke. Seitdem sie aus dem Dschungel zurückgekehrt war, konnte sie ein beständiges Frösteln nicht unterdrücken. Sie war erfüllt von einer inneren Unruhe, dennoch setzte sie ein strahlendes Lächeln auf, um die Unsicherheit zu überspielen.
„Kein Stein; Blut, Mr. Vanderbuildt“, erklärte sie ihm und machte eine dramaturgische Pause. „Blut. Ein Splitter des schwarzen Löwen.“
Ihre Finger spielten mit der glatten, durchsichtigen Oberfläche der Tischplatte. Die Stahlstreben, die die breite Fensterfront des Büros unterbrachen, warfen ein bizarres Schattenspiel in den abgedunkelten, großzügig angelegten Raum, der mehr als spartanisch eingerichtet war.
„Diese Schwärze …“ Der Mann um die Fünfzig warf erneut einen Blick auf das steinartige Gebilde, das die Form einer Glasscherbe hatte. „Als ob alle Legenden Afrikas wahr werden sollten. Blut …“
Mehrere Augenblicke lange verlor sich sein Blick erneut in der dunklen Oberfläche, dann legte er den Splitter auf den Tisch.
„Dennoch“, rief er sich selbst zur Ordnung. „Es gibt andere Dinge, über die wir sprechen müssen.“ Er ging um den breiten Schreibtisch herum und lehnte sich wie die junge Frau gegen die Kante, um sie abwartend zu beobachten.
„Nun, was haben Sie über den Mann erfahren?“, fragte er unvermittelt und musterte die gleichmäßigen Gesichtszüge seiner Angestellten. Trotz ihrer Nervosität hielt sie seinem prüfenden Blick stand.
„Nun gut … wussten Sie, dass er ‚Talon’ heißt?“
Einen Augenblick lang hatte sie das Gefühl, als würden sich die kristallblauen Augen des Mannes in sie bohren wollen. Die Stille legte sich bedrückend auf ihre Brust.
„Nennt er sich immer noch so?“, unterbrach Vanderbuildt das Schweigen und musterte Janet eindringlich. „Interessant …“
„Oh, Sie kennen ihn unter diesem Namen?“, wurde sie hellhörig. Sie setzte sich auf die kühle Platte des Tisches und schlug die schlanken Beine übereinander. Ihr linker Fuß wippte leicht. „Mmmh, sieh’ an. Sie hätten mir ruhig mehr erzählen können, damit ich jetzt nicht so albern dastehe!“
Unvermittelt schloss sich die rechte Hand Vanderbuildts wie eine Klammer um Janet Verhoovens Hals. Der Mann presste sie mit aller Kraft nach hinten und hielt den Griff fest geschlossen. Seine Worte schnitten kalt durch das weite Büro.
„Was ich Ihnen erzähle, Janet“, fuhr er sie kühl an, „ist alleine meine Sache!“ Seine Augen brannten wie zwei glühende Stücke Eis. Wie um seine Worte zu bestätigen, drückten die Finger noch etwas fester zu, bevor sich der Griff löste. „Ich dachte, Sie wissen, wer fragt – und wer antwortet!“
Die junge Frau hustete unterdrückt auf und holte hastig Luft. Unbewusst legte sie ihre Hand gegen den schmerzenden Hals, wie um sich vor einem weiteren Angriff zu schützen.
„Natürlich, Mr. Vanderbuildt, Sir …“ japste sie erschrocken. Einen Augenblick fragte sie sich, ob sie dieses Spiel wirklich mitspielen konnte. Auch an dem Wilden im Dschungel hatte sie eine Gnadenlosigkeit feststellen müssen, die sie beunruhigte. Sie wusste, wie kompromisslos ihr Chef vorging. Doch bisher hatte sie es noch nie am eigenen Leib verspüren müssen.
Sie bemerkte seinen abwartenden Blick und fuhr ungefragt fort.
„Talon – er scheint sich eher in der Wildnis wohl zu fühlen als unter Menschen“, erklärte sie. „er gab sich kaum mit uns ab.“
Janet gewann langsam wieder etwas von ihrer gewohnten Ruhe zurück. Sie streckte ihren Körper durch und sah auf den grauen Teppichboden.
„Und er wusste … fühlte bestimmte Sachen. Mehr wie ein Tier.“
Ein Lächeln stahl sich über ihr Gesicht, das so schnell wieder gefror wie es erschienen war.
„Wirkung auf Frauen hat er“, sinnierte sie vor sich hin. „Unsere Fotografin war in ihn als Motiv fast – – verschossen.“
„Fotos?“, hakte Vanderbuildt nach. „Haben sie die?“ Er hatte sich von der jungen Frau abgewandt und sah nach draußen, auf den Tafelberg, der weit
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